: Irrationales Privateigentum
VORTRAGSREIHE Zwei Wissenschaftler befassen sich in Frankfurt mit Wachstum und Nachhaltigkeit
„Müssen wir wachsen? Antworten aus Natur, Wirtschaft und Gesellschaft“. Zu diesem Thema veranstaltet das Frankfurter Forschungsinstitut und Museum „Senckenberg“ zusammen mit dem „Loewe Biodiversität und Klima Forschungszentrum“ eine Vortragsreihe. Das Beachtliche daran ist die breit angelegte Konzeption. Neben Naturwissenschaftlern (Biologen, Zoologen, Paläontologen) kommen auch Sozialwissenschaftler (Philosophen, Ökonomen) zu Wort. Zuletzt referierten Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und ökologische Ökonomik in Trier, und Martin Jänicke, Direktor des Forschungszentrums für Umweltpolitik in Berlin.
Der Ökonom Martin Löhr, der nicht zu den Neoliberalen und Marktradikalen gehört, entfaltete in seinem Vortrag die Umrisse einer fundamentalen Umsteuerung der Wirtschaft – weg von immer schnellerer Akkumulation und größerem Wachstum der parasitären ökonomischen Renten. Darunter versteht man die Nutzung von Besitzprivilegien etwa an Land, Luft, Wasser, natürlichen Rohstoffen, Patenten und die unentgeltliche Nutzung staatlicher Infrastrukturen durch Private. Ökonomische Renten sind leistungslose Einkommen, denen einzelwirtschaftlich keine Kosten gegenüberstehen und die zum Steueraufkommen nur fünf Prozent beitragen. Löhr machte deutlich, dass beim komplexen Problem der Regulierung des ziellosen Wachstums um des Wachsens von Geldeinkommen willen nicht mit einfachen Lösungen zu rechnen und ohne politischen Druck von unten gegen die überaus starken Interessenten und deren politische Agenturen eine Lösung nicht denkbar ist.
Mit dem sozial unhaltbaren und dem ökologisch und ökonomisch irrationalen Privateigentum an Grund, Boden, natürlichen Ressourcen – also den Quellen von Renteneinkommen – verhält es sich wie mit der Sklaverei: Es ist weder „normal“ noch „alternativlos“.
Das gilt auch für die Geldwirtschaft, die von der Fiktion lebt, Geld in mehr Geld zu verwandeln, ohne es produktiv zu investieren. Auch Sklaverei, so Löhr, galt jahrhundertelang als „normal“ und „alternativlos“, bis der politische Druck von unten auf die herrschenden Eliten in Politik und Wirtschaft so wuchs, dass diese selbst von der Sklaverei abrückten.
Löhr verdeutlichte das Problem an einem Beispiel. In Deutschland waren die Zinsen früher hoch, das sorgte für niedrige Immobilienpreise, denn der Bodenwert ergibt sich aus der Division von Ertrag durch Zins. Verbilligt man die Zinsen oder lässt sie gegen null fallen wie momentan, werden mehr Hypothekarkredite vergeben. Die Nachfrage nach Immobilien steigt und damit der Bodenpreis und die Rente. Das produziert, wie in den USA und in Spanien geschehen, Immobilienblasen, die irgendwann platzen. Wie der Boden und die natürlichen Ressourcen ist auch das Geld, das sich durch Kreditvergabe selbst vermehrt, eine wichtige, aber nicht die einzige Stellschraube für die Umsteuerung unseres Wirtschaftens und Lebens. Man muss Kreditgeld nicht abschaffen, aber domestizieren. Fortschritt, so Löhr, ist ohne vernünftige Rückschritte nicht zu haben.
Martin Jänicke widmete sich dem Thema „Grünes Wachstum – Chance oder Chimäre?“. Er entfaltete in seinem fulminanten Vortrag zwei Perspektiven, die in der ausufernden Debatte über Wachstum meistens untergehen. Was Wachstum bedeutet, bleibt darin diffus. Deutschland hat es mit einem Wachstum von rund einem Prozent zum Exportweltmeister gebracht, rund zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen, den Haushalt saniert. Heute spricht selbst die Weltbank nicht mehr von Wachstum überhaupt, sondern von „intelligentem, freundlichem und cleanem Wachstum“, denn es hat sich herumgesprochen, dass einzig das kapitalistische Finanzsystem der Banken und Fonds Geldvermehrung um der puren Vermehrung willen braucht, aber nicht „die“ Wirtschaft, „die“ Menschen oder „die“ Umwelt. Für eine sozial-ökologisch abgefederte Politik reicht ein „moderates Wachstum“, wie Jänicke sagt, wenn der Produktionsapparat gleichzeitig auf Rohstoff- und Energieeinsparung sowie technologische Innovationen umgestellt wird. Und auf diesem Sektor sind die Erfolge beachtlicher als die verbliebenen Defizite: Heute werden 70 Prozent des Stroms in Europa „grün“ erzeugt, und der Energieverbrauch ging seit 1994 in der BRD um 27 Prozent zurück. Jänicke illustrierte mit solchen Zahlen, dass der sozialökologische Umbau weltweit besser funktioniert als angenommen. Kassandra-Rufe sind wohlfeil, aber die Welt kann sie sich nicht mehr leisten. Sonst geht mit der Klima- und Umweltzerstörung alles den Bach runter. RUDOLF WALTHER