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Archiv-Artikel

Gefeiert wie ein Messias, gefallen wie ein Verräter

Peter Hartz sollte den Arbeitsmarkt revolutionieren, den Volkswagen-Konzern retten, Schröder pushen. Jetzt steht sein Name für sozialen Abstieg und schmutzige Affären

BERLIN taz ■ Man kann die Geschichte von Peter Hartz so erzählen: Es war einmal ein Junge aus einfachen Verhältnissen, der arbeitete sich nach oben und irgendwann war er reich und berühmt. Leider stieg ihm sein Erfolg zu Kopf und dann vermasselte er alles. Man kann sie auch anders zusammenfassen: Es war einmal ein Mann, der schaffte es wie kein anderer, die Versöhnung von Arbeit und Kapital zu diskreditieren und dem „Modell VW“ Schaden zuzufügen. Erst schien er über Jahre hinweg zu beweisen, dass ein Unternehmen auch ohne Entlassungen und Zumutungen für die Arbeitnehmer Erfolg haben kann. Dann aber wurde bekannt, in welchem Sumpf dieses System seine schlüpfrige Existenz fristete.

Egal, welche Variante man wählt, ein Datum steht fest: Der Lebenslauf des Dr. Peter Alwin Hartz findet seinen Höhepunkt an jenem 16. August 2002, als er seine Arbeitsmarktreform im Französischen Dom am Berliner Gendarmenmarkt vorstellt. Perfekte Inszenierung, ein Medien-Tamtam, als weilte Madonna in der Hauptstadt. Der Duzfreund Gerhard Schröders scheint genau die Mischung aus arbeitnehmernah und wirtschaftsfreundlich zu verkörpern, die sich die rot-grüne Bundesregierung so sehr für sich selbst wünscht. Wenn so einer den Arbeitsmarkt reformiert, dann kann das nur gutgehen. Das glaubt offenbar auch Hartz selbst, der sein Werk ganz bescheiden als „Bibel“ bezeichnet. Bis zu diesem Tag – und noch ein paar Monate länger, bis zu den ersten Protesten – also steht der Name Hartz für „gute“ Reformen.

Rückblende ins Jahr 1993. Der Aufstieg des Peter Hartz beginnt. Damals holt ihn VW-Chef Ferdinand Piëch aus der krisengeschüttelten Stahlindustrie im Saarland in den Vorstand des Wolfsburger Autobauers. Es gebe da einen Manager, der sich durch gute Ideen einen Namen gemacht hat, erfuhr Piëch. VW steckt in der Krise. 30.000 Stellen sollen abgebaut werden, zu viele VW-Angestellte stehen zu wenigen Aufträgen gegenüber.

Hartz folgt dem Ruf nach Wolfsburg und entwickelt die Viertagewoche. 20 Prozent weniger Arbeit, 15 Prozent weniger Lohn. Erfindet innovative Arbeitszeitmodelle wie „5.000 mal 5.000“, also 5.000 neu eingestellte Arbeitslose mit einem Monatsverdienst von 5.000 Mark – und zögert damit die gefürchteten Strukturreformen im Betrieb zumindest hinaus. VW bleibt eine komfortable Arbeitsstätte. Die Leute mögen ihn. Die Stadt Wolfsburg mag ihn. 1998 macht er ihr ein ganz besonderes Versprechen zum 60. Geburtstag: Binnen fünf Jahren werde es ihm gelingen, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Es gelingt tatsächlich.

Warum sollte er solche Jobwunder nicht auch im ganzen Land vollbringen können? Kanzler Schröder vertraut seinem Gewerkschaftsgenossen Peter. Die Hartz-Reformen entstehen.

Hier sind wir wieder beim 16. August 2002 angekommen, bei der Kehrtwende. Kurz danach beginnt das, was sich am besten mit dem Wort „Entzauberung“ beschreiben lässt. Im Herbst 2003 demonstrieren 100.000 Menschen gegen „Hartz“, wollen „Hartz wegschlagen“. Im Sommer 2004 skandieren die Montagsdemonstranten „Weg mit Hartz IV – das Volk sind wir“. Längst hat sich der Begriff „Hartz“ verselbständigt, vom Namenspatron Peter Hartz losgelöst, steht als Synonym für sozialen Abstieg, für den Horror der Mittelschicht, für eiskaltes Abgehängtwerden. Der Sozialdemokrat Hartz soll darüber „schwer erschüttert“ gewesen sein.

Immerhin schimpfen die Demonstranten nur auf die Reformen, die sie einer neoliberalen SPD in die Schuhe schieben, und nicht auf den VW-Manager persönlich. Der ist nach seinem großen Berliner Auftritt wieder ins vermeintlich sichere Wolfsburg zurückgekehrt.

Allerdings nicht für lange Zeit. Schon im Sommer 2005 findet sein Name wieder den Weg in die Schlagzeilen – und jetzt folgt der Teil seiner Karriere, der unter der Überschrift „Der Absturz“ steht. Ausgerechnet Peter Hartz, der doch so viel für VW getan hat, der Held des Ausgleichs zwischen Management und Belegschaft – er soll Millionenbeträge veruntreut haben.

Wie jetzt über ihn geredet wird – so, als falle es seinen einstigen Bewunderern plötzlich wie Schuppen von den rosa Brillen: Hat die Zusammenarbeit im Konzern nur deshalb so vorbildlich funktioniert, weil der Betriebsrat seit Jahren ruhiggestellt worden war, noch dazu mit unappetitlichen Methoden – hübschen jungen Frauen, die den schon erschlafften älteren Herren von weit her ins Bett geliefert wurden? Haben die Kritiker des „Modells VW“, das zwar arbeitnehmerfreundlich, aber eben auch intransparent ist, damit nicht Recht bekommen und gehören die VW-Privilegien abgeschafft? Hat Peter Hartz mit seinem Arbeitsplatzzauber dem Konzern und der ganzen Stadt nicht einen Bärendienst erwiesen, weil er Probleme lediglich vertuscht, nicht aber gelöst hat? Und überhaupt: Ist es nicht logisch, dass eine Arbeitsmarktreform nichts taugt, wenn sie von so jemandem erdacht wurde? Einem Mann, der seine Ziele mit unlauteren Mitteln erreicht?

Die Hartz-Reformen produzieren einen Misserfolg nach dem nächsten. VW steckt schon wieder in der Krise. Da kommt der heute beginnende Prozess doch daher „wie ein Treppenwitz der Geschichte“, spottet ein Bundestagsabgeordneter. Jetzt hat Peter Hartz hat seinen guten Namen endgültig verspielt.

KATHARINA KOUFEN