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Archiv-Artikel

Hoch konzentrierte Präzision

NACHRUF Am Sonntag verstarb Lorin Maazel mit 84 Jahren in seinem Haus im US-Bundesstaat Virginia an den Folgen einer Lungenentzündung

Er war einer der wenigen ganz Großen seiner Branche. Ein Weltdirigent, der sich selbst zur Marke gemacht und etabliert hat. Und der auch wusste, was er wert war. Künstlerisch und pekuniär. Maazel galt als einer der teuersten Dirigenten der Gegenwart überhaupt, was ihm nicht nur Freunde machte. So stand das 1930 in der Nähe von Paris geborene Multitalent selbst im fortgeschrittenen Lebensalter 2013 noch bei über einhundert Konzerten am Pult.

Als Maazel vor zwei Jahren seine Position als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker antrat, kokettierte er noch mit seinen Jahren, und meinte, dass die Stadt hoffentlich wisse, was sie da tue. Sein Vertrag ging bis 2015 – im Juni musste er dann doch aus Gesundheitsgründen vorfristig aussteigen. Maazel ist vom musikalischen Wunderkind, das schon mit neun Jahren zu dirigieren begann, zum allseits respektierten, an den Pulten der großen Orchester nahezu allgegenwärtigen und energisch auf seinen Qualitätsstandards bestehenden Weltstar aufgestiegen. Es gehört zu den hübschen biografischen Details, dass Arturo Toscanini den gerade mal 7-Jährigen das NBC Symphony Orchestra dirigieren ließ. Was mehr als ein drolliger Gag war, denn mit 15 Jahren kannte er die meisten großen US-amerikanischen Orchester bereits vom Pult aus.

Während seiner langen Karriere war er unter anderem Chefdirigent an der Deutschen Oper Berlin (1965–71), beim Orchestre de Paris (1977–82) und beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Aber auch in Cleveland, Valencia und in Wien. An der Wiener Staatsoper hatte er Anfang der 80er Jahre sogar einen Aufstand von oben gegen die Repertoireroutine geprobt. Dass er damit scheiterte, macht den Versuch nicht weniger respekteinflößend. Dass die Berliner Philharmoniker 1989 nicht ihn, sondern Claudio Abbado zum Karajan-Nachfolger machten, verärgerte ihn allerdings nachhaltig. Von 2002 bis 2009 war er als Nachfolger von Kurt Masur Chef der New Yorker Philharmoniker, um dann, nach Christian Thielemanns geräuschvollem Abgang aus München, zum, wenn auch kurzzeitigen, Retter der dortigen Philharmoniker zu werden. Eine bayerische Zwischenlösung auf dem denkbar höchsten Niveau.

Lorin Maazel hat die Musikwelt mit seinem Einsatz bei 200 Orchestern in mehr als 7.000 Aufführungen und mit 300 Platteneinspielungen entscheidend mitgeprägt. Obwohl machtbewusst und dabei eine elegante Erscheinung, zog er am Pult seine sprichwörtliche hochkonzentrierte Präzision der großen Show eines Pultstars allemal vor.

Zu seinem um die Großen der Symphonik kreisenden Repertoire gehörte natürlich auch Wagner – so war er 1960 der erste amerikanische Dirigent auf dem Grünen Hügel in Bayreuth. Dass ihm ein so prominentes Haus wie die Royal Opera in London 2005 die Uraufführung seiner Orwell-Oper „1984“ ermöglichte, verstand sich bei diesem (nicht ganz so erfolgreichen, aber respektabel) komponierenden Dirigenten fast schon von selbst. Jetzt ist Maazel im Alter von 84 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.

JOACHIM LANGE