: Höflichkeit ist pc, also scheiße!
Beim Argumentieren hab ich ein gewisses Mindestmaß an Logik nicht ungern. Nachdem eine Handvoll Fußballnationalspieler vorm Brandenburger Tor ein peinliches Eigentor geschossen hat („Brandenburger Eigentor!“), kam es erst zu einem Aufschrei und dann zur Retourkutsche jener, die fanden, dass die Erregung doch übertrieben sei. Schließlich könne man jedes Wochenende in Stadien viel schlimmere Häme erleben – und zwar von Fans im Vollsuff. Ja eh!, bin ich versucht zu antworten, aber eine leise Ahnung, dass es zwischen irgendwelchen namenlosen besoffenen Fans und den Spielern einer Weltmeistermannschaft einen kleinen Unterschied gibt, habt ihr schon, oder?
Was natürlich nicht fehlen durfte, war die inverse Erregung (sozusagen: die Erregung über die Erregung), wonach all jene, die der Gaucho-Tanz peinlich berührt, politisch-korrekte Spaßverderber seien. Im Fußball hat eure elende „Politische Korrektheit“ keinen Platz!, wurde da sinngemäß gebellt. Ich mag solche Argumente, ehrlich! Höflichkeit, eine gewisse Ritterlichkeit in Momenten des Triumphs – das ist alles böse linke politische Korrektheit. Dass man Verlierer nicht anspuckt oder auf Leute nicht tritt, die schon am Boden liegen, das ist wahrscheinlich auch böse linke politische Korrektheit.
Komisch eigentlich, da ja ein gewisser Sinn für Umgangsformen – sagen wir: Anstand, Galanterie, Taktgefühl, ein wenig Empathie – früher zu den eher „bürgerlichen Tugenden“ gerechnet wurden. Aber seit man schon jede Form der Höflichkeit „Political Correctness“ nennt, hat sie offenbar die Seiten gewechselt. Leute zu beschimpfen oder auf Unterlegende herabzuschauen, wird jetzt in konservativen Kreisen hochgehalten, weil es doch eine heldenhafte Übertretung der angeblich freiheitsberaubenden Regeln der politischen Korrektheit sei.
Und nur um nicht falsch verstanden zu werden: Der Gaucho-Tanz war unnötig und doof – aber auch kein Beinbruch. Viel schlimmer sind die Leute, die meinen, er sei nicht unnötig und doof, sondern total klasse gewesen, weil total unkorrekt und so.
Also noch mal: Man spottet nicht über Loser. Außer vielleicht über die FDP, da ist das okay. Nein! Scherz!, die Gelben, denen die Wähler die Rote zeigten, sind in meiner Großmut natürlich inkludiert. Ich hab ein großes Herz!
Wir in Österreich hatten währenddessen auch unseren Spaß. Einige Doktoren und Professoren verfassten ein Manifest gegen den „Genderwahn“ im Form von Binnen-Is, Schrägstrichen und sonstigen schriftlichen Verunstaltungen und ließen die Kampfschrift von 800 Leuten unterschreiben. All das sei „aus dem Schreibgebrauch zu eliminieren“, verfügen die großen Doktoren, es müsse zur „sprachlichen Normalität“ zurückgekehrt werden.
Aus jeder Zeile des Elaborats quillt das Ressentiment. In meiner Rolle als Kolumnist*in und Essayist*in kann ich die Motive der Pamphletist*innen ja sogar halb verstehen. Was heißt verstehen: halb unterschreiben! Ein Text soll schön sein und möglichst auch so etwas wie Rhythmus haben, und */_I sind Gift für jede schriftstellerische Eleganz. Andererseits ist ebenso wahr – nein: es ist noch mehr wahr – , dass das nonchalante Maskulinum im Deutschen Frauen unsichtbar macht, und man daher gut daran tut, Formulierungen zu finden, in denen die männliche Form die Frauen nicht einfach „mitmeint“.
Kurzum: Auch wenn eins* („man“ ist auch so ein blödes, unbrauchbares, aber kaum zu ersetzendes Wort) mit guten Gründen einzelnen Argumenten der Manifestanten folgen kann, der ganze Geist ihrer Intervention ist übel. Kampf gegen Genderwahn und Feministinnenmüll! Es ist dieser Kontext, der diesen Text so unmöglich macht, ergänzt durch die lächerlich aufgeblasene Doktorenhaftigkeit. Einzelne Argumente kann ich teilen, dennoch sind diese Leute nichts anderes als Sarrazins der Sprach-„Forschung“.
Wir können die Kämpfer gegen die politische Korrektheit nicht verstehen, ohne ihren Wahn, sich stets verfolgt zu fühlen. Tagein, tagaus referieren sie in Talkshows ihre Gesinnungen und bejammern gleichzeitig, man würde ihnen verbieten, sie zu äußern. Der Kämpfer gegen die politische Korrektheit ist besessen vom Wahn, andere würden ihn in seinem Wahn verfolgen. Es ist ein Wahn zweiter Ordnung, neuerdings ist schon vom Genderwahn-Wahn die Rede ist. Der Widerstandskämpfer gegen die PC leidet nicht unter Paranoia, er genießt sie. Aber auch das ist erlaubt. Ein gewisser Prozentsatz an Spinnern gehört zur Menschheit dazu. Oder, wie schon Alfred Polgar formulierte, der vom Genderwahn avant la lettre besessen war: „Alle Menschen sind mangelhaft, ausgenommen die Damen.“
ROBERT MISIK