: „Wir wollen Mut machen“
Vorbild für unabhängigen Journalismus: die taz beim Independent Media Forum in Istanbul
Die taz als Vorbild für die Türkei: unabhängig, kritisch und in der Hand ihrer LeserInnen? In einem Land, dem EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn gravierende Mängel etwa bei der Meinungs- und Pressefreiheit und Folter vorwirft? Rund 50 Jung- und NachwuchsjournalistInnen aus der ganzen Türkei sind begeistert, als taz-Chefredakteurin Bascha Mika über den Werdegang der taz berichtet und feststellt: „Wir müssen nicht nur bessere Journalisten sein, sondern auch gute Betriebswirte. Um erfolgreich zu sein, dürfen wir keinen Nischen-Journalismus betreiben, sondern uns auch am Mainstream orientieren.“
Anlass der Rede Bascha Mikas ist das Istanbul International Independent Media Forum, das die türkische IPS-Stiftung für Kommunikation und die internationale Nachrichtenagentur IPS (Inter Press Service) veranstalteten. Etwa 300 TeilnehmerInnen – darunter auch Fachleute aus Großbritannien und USA – hatten sich in der Istanbuler Bilgi-Universität eingefunden. „Eine andere Kommunikation ist möglich“, so das Leitthema. Neben Il Manifesto aus Italien ist die taz die einzige europäische Tageszeitung, die eingeladen war, über „unabhängige“ und „alternative“ Erfolgsmodelle zu berichten.
„Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass die taz eins zu eins in unsere Verhältnisse nicht übertragbar ist. Wir wollten aber Mut machen“, sagt Erturul Kürkçü, Mitbegründer der 1993 ins Leben gerufenen IPS-Stiftung. Unabhängigen Medienmachern will auch die aus dem Forum hervorgegangene „Istanbuler Erklärung“ Mut machen. Sie ruft Regierungen auf, „unverzüglich“ alle inhaftierten JournalistInnen freizulassen und dafür Sorge zu tragen, dass sie nicht bei der Ausübung ihres Berufs behindert werden. Darüber hinaus werden die Regierungen rund um die Welt aufgefordert, „die Schuldigen zu bestrafen, die Verbrechen gegen JournalistInnen begangen haben“. Nationale Sicherheit dürfe nicht als Vorwand benutzt werden, um freie journalistische Berichterstattung zu blockieren. Der Adressat des Appells vor Ort sind die türkische Regierung und die Sicherheitskräfte.
Auf dem Forum berichten mehrere türkische Journalisten über die Repressalien, die sie tagtäglich über sich ergehen lassen müssen. Zu ihnen zählt auch Nadire Mater, Vorsitzende der IPS-Stiftung. Vor fünf Jahren wurde sie wegen Beleidigung der Armee angeklagt, ihr drohten bis zu zwölf Jahre Haft. Der Grund: Sie ist die Autorin des im April 1999 in der Türkei erschienenen „Mehmets-Buch“. Es enthält 42 Protokolle türkischer Wehrpflichtiger („Mehmets“), die ihren Militärdienst in der Südosttürkei ableisteten und in dem seit 16 Jahren andauernden Krieg gegen die PKK eingesetzt wurden. Das Buch avancierte in der Türkei innerhalb weniger Wochen zu einem Bestseller und wurde im Juni 1999 verboten.
Mater ließ sich nicht entmutigen. Mit Unterstützung der Europäischen Kommission startete die Stiftung ein dreijähriges Projekt mit dem Ziel, ein landesweites Netz zwecks Beobachtung der Medienfreiheit und des unabhängigen Journalismus in der Türkei zu etablieren. Das Projekt BIA stellt türkischen Medien über die Website www.bianet.org Nachrichten und Analysen zu Menschenrechten, Rechten der Kinder sowie über Geschlechter- und Minderheiten betreffende Themen zur Verfügung. Im Rahmen des Projekts steht die Stiftung JournalistInnen mit juristischem Rat zur Verfügung. Aus- und Fortbildung von JournalistInnen ist ein integraler Bestandteil des Projekts.
Das Projekt läuft in diesem Monat aus. Kürkçü ist jedoch optimistisch, mit Unterstützung der Organisationen aus EU-Ländern weiterhin im Sinne der Entwicklung eines unabhängigen Journalismus tätig sein zu können. Der Erfolg des Projekts wird durch die rege Beteiligung der unabhängigen türkischen JournalistInnen sowie einer Reihe lokalen Medien einschließlich aus Diyarbakir an das Medien-Forum unterstrichen. Ihnen fehlt aber nicht nur die Freiheit, ungehindert über politische, wirtschaftliche und soziale Belange zu berichten, sondern auch mit Finanzmitteln sich am Leben zu erhalten.
„Für Einnahmen durch Anzeigen sind die lokalen Medien sehr stark von der Regierung abhängig. Dies verringert unsere Manövrierfähigkeit stark“, berichtet Murat Gures, Nachrichtenchef der Zeitung Gaziantep Haber aus Anatolien. Emrullah Ozbey, Chefredakteur der Zeitung Mus Haber 49, erklärt, dass die lokalen Medien in kleineren Provinzen der Türkei noch mehr Repressalien des Staates ausgeliefert sind als ihre Counterparts in größeren Provinzen – „und dies dank der Passivität der Massenmedien“. Diesen Umstand wollen die Teilnehmer des Istanbuler Medien-Forums Einhalt gebieten. Sie fordern Mainstream-Medien zu „konstruktiver Haltung“ gegenüber lokalen Medien auf. Journalismus-Studierende der Universität von Galatasaray gehen weiter und verlangen „eine andere Ausbildung“, die sie zur unabhängigen Berichterstattung befähigt. Die taz doch als Vorbild? JAYA RAMACHANDRAN