schurians runde welten : Über Berufskrankheiten
„Ich bin immer ein alter Kämpfer gewesen.“ (Ottmar Hitzfeld)
Ich mag keine Architekten, seit ich für einen arbeitete. Sie sind wie Albert Speer – müssen so sein, Anhänger der Diktatur, weil ihr Zweck ihre Mittel heiligt. Sie können nichts dafür, es ist eine Berufskrankheit. Oder würden Sie einem Journalisten trauen, der am Morgen den Zeitungsboten zusammenstaucht, sich die Artikel von Investoren bezahlen lässt und dann jedes Wort, jeden Buchstaben abwägt, ob es nicht kürzer, billiger geht? Der Nachwuchsschreiber beschäftigt, die lausig bezahlt werden und versuchen sich dadurch auszuzeichnen, dass sie lernen, Dinge wegzulassen, ohne dass der Text statisch zusammenbricht. Kurzum: Architekten sind gedungene Götter, die ihre Geldgeber umgarnen, den Handwerkern nachstellen und ihre schlechte Laune an den eigenen Leuten ablassen. Es sind nicht alle so – aber auf dem Weg dahin.
Gegen Meinhardt von Gerkan lässt sich also nichts sagen, außer dass er ein bedeutender Architekt ist und ich mit ihm vor zwei Jahren auf einem Kirchentagspodium saß, um über Orte der Erinnerung zu plaudern. Ich hatte mich zu beflissen vorbereitet, raste also durch einen viel zu langen Beitrag über die gerade eröffnete Allianz-Arena in München, die gefühlte Klassenlosigkeit im Stadion, diese große Koalition, weil scheinbar alle an das gleiche denken: an Tore, Siege, Meisterschaften, erlebte Fußballgeschichten; ob sie nun auf Leder sitzen oder auf dem Wellenbrecher hinterm Tor. Professor Gerkan, der seinerzeit das Berliner Olympiastadion errichtete – quatsch: der es für die Heim-WM umbaute wie auch andere Fifa-Stadien, schnaubte zu meinen Worten und überholte mich hernach links.
Was mir denn einfalle, „alle gleich, pah!“, er kenne die Welt der Logen, die scheuten den Pöbel wie der Teufel das Weihwasser. Dann ging es ihm um Klassengegensätze, um Arm und Reich, die Elite, Bonzen, Straßenkämpfe, Ideale. Mir verschlug es die Sprache, bis Gerkan seinen eigenen Vortrag hielt.
Er hatte einen Laptop dabei. Zeigte Ansichten von Hochhäusern, Expo-Pavillons, sogar eine gewaltige Kirche in China, die in einem Einkaufszentrum realisiert wird. Dann gab es noch Zeitraffer vom gerade entstehenden Hauptbahnhof der alten Reichshauptstadt. Natürlich waren alle staatstragenden Konstruktionen von Gerkan selbst, dem erklärten Feind der VIP-Zonen.
Warum ich das erzähle? Vorgestern musste Gerkan im Bundestagsausschuss zu Baumängeln am Berliner Bahnhof Stellung nehmen, den Sturmschäden. Diesmal überholte er nicht links. Der große Mann der deutschen Baukunst brach hemmungslos in Tränen aus. Und er hatte wieder Recht.CHRISTOPH SCHURIAN