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„Was wir hier üben, ist die Zukunft“

■ Am 10. September eröffnen die Kammerspiele unter der Leitung von Ulrich Waller und Ulrich Tukur neu / Ein Gespräch über die Vergangenheit und die mögliche Zukunft des Hauses

taz: Eure strukturellen Voraussetzungen unterscheiden sich von denen eurer gescheiterten Vorgänger nicht wesentlich. Ihr bekommt dieselben Subventionen, habt dasselbe Haus, müßt dieselbe Spielzeit füllen. Welche Fehler eurer Vorgänger sind es nun, deren mögliche Vermeidung euch die Zuversicht gibt, selbst nicht zu scheitern?

Ulrich Waller: Eine Bedingung, daß wir antreten, war ja, daß für die Zuschauer etwas passiert. Daß man also nicht jedesmal in diesem Theater dadurch gequält wird, daß man nichts sieht und schlecht sitzt. Deswegen wird gerade der Saal umgebaut und das Scheiß-Grau weggemacht.

Ulrich Tukur: Wir haben den Roten Riesen durch den Saal gejagt, damit der Grauschleier verschwindet.

Waller: Der Hauptunterschied zu unseren Vorgängern liegt aber wohl darin, daß wir kapiert haben, daß die Kammerspiele kein Staatstheater sind. Das bedeutet, daß wir das Team total runtergefahren haben, auch wenn das auf die Knochen geht, und daß man sich der Unterhaltung öffnet und ein Programm macht, das auf mehreren Füßen steht. Wir wollen spannendes und unterhaltendes Theater machen, etwas, was im Fadenkreuz von Tivoli und Thalia liegt.

Aber auch eure Vorgänger sind bereits auf den Knochen gekrochen. Daran kann es nicht gelegen haben.

Waller: Nun, eine andere Voraussetzung für mich war, daß ich das Theater zusammen mit einem Schauspieler mache, und zwar mit einem, der eine starke Anziehungskraft hat. Ohne Ulrich Tukur hätte ich hier niemals angefangen.

Tukur: Aber es darf jetzt nicht darum gehen, hier einen Personenkult aufzubauen. Ich habe sehr viele Beziehungen und Freundschaften zu Schauspielern, die möchte ich ein bißchen an uns binden. Ich selbst werde ein oder zwei Mal pro Jahr hier etwas machen, und wenn ich in Hamburg spiele, dann nur hier.

Aber auch die Schauspielerfreunde haben sowohl Barbarino wie Schlesselmann als Erfolgsrezept bemüht. Es muß also irgend einen anderen strukturellen Fehler geben, der über Aufstieg oder Fall der Kammerspiele entscheidet.

Tukur: Ich glaube, wir beide haben einiges aus dem Blaubart gelernt, also im freien Fall mit dem eigenen Risiko eine Produktion auf die Beine zu stellen. Dadurch haben wir knallhartes Budgetieren gelernt. Unsere Vorgänger haben aber einfach so getan, als gebe es endlos Geld zum Ausgeben. Damit haben sie das Haus heruntergewirtschaftet. Man kann hier aber nicht mehr Geld ausgeben als man hat. Das ist wie in einem Kommerztheater.

Waller: Und das Haus braucht Vernetzung. Man kann kein Programm nur aus dem Haus herausholen. Deswegen versuchen wir, das Theater mit dem Literaturhaus, mit dem Abaton, mit Kampnagel, mit der Uni in ein Geflecht und in das Viertel einzubinden. Außerdem machen wir Koproduktionen mit dem Züricher Schauspielhaus, dem TaT in Frankfurt, dem Münchner Residenztheater und der Hamburg Oper. Das Theater alleine für sich hat keine Chance.

Könnt ihr denn überhaupt ausreichende Gagen für Leute wie Dominque Horwitz oder Michael Schönborn zahlen?

Waller: Die Schauspieler und der Regie-Stab sind am Risiko beteiligt. Das haben wir neu eingeführt. Darauf haben sich alle eingelassen. Das sind glaube ich so bestimmte neue Arten zu denken, die in den nächsten Jahren auch die Staatstheater erreichen werden. Ich glaube, das wird sich den Strukturen beim Film angleichen.

Wir haben hier mit Jürgen Hunke und Dirk Schmidt-Prange zwei kunstverrückte Versicherungsmanager, die das Geld geben, die überall mitreden wollen, und mit denen man sich auseinandersetzen muß. Das ist die klassische Produzentenrolle beim Film, und das wird im Theater mehr und mehr auch kommen. Was wir hier üben, das ist, glaube ich, die Zukunft des Theaters.

Hat denn der Begriff „Kammerspiel“ im klassischen Sinn für euch noch irgendeine Bedeutung?

Waller: Wir führen Stücke auf, bei denen nicht mehr als 5 Leute mitmachen. So gesehen ist das ein klassisches Kammerspiel. Das schafft aber natürlich auch die Möglichkeit, daß wir eher zusammen mit bestimmten Schauspielern, mit denen wir unbedingt arbeiten wollen, Stücke und Pläne entwickeln, als einen fertigen Spielplan umzusetzen. Das Haus hat nur eine Chance, wenn es mit einer bestimmten Familie von Leuten identifiziert wird.

Das ist ja fast ein demokratisches Theatermodell wie annodazumal in Frankfurt.

Waller: Aber das funktioniert hier viel uneingeschränkter. Hier kann jeder nach seinen Kräften mitarbeiten, so daß man über Autoritätsstrukturen überhaupt nicht mehr diskutieren muß.

Tukur: Ich würde sogar sagen, die hierarchischen Strukturen sind hier nicht vorhanden. Da lege ich auch überhaupt keinen Wert drauf. Das würde ich als künstlerischer Leiter niemals etablieren wollen.

Und das geht gut?

Tukur: Das ist so lange gut, wie die Stimmung gut ist, und die ist sehr gut. Sicherlich wird auch unsere Zeit einmal vorbei sein, sonst enden wir ja wie Ida Ehre, aber im Moment ist hier viel frischer Wind und das wird mit Sicherheit auch zwei Jahre so bleiben.

Könnt ihr ein Spielplanprofil beschreiben? Wie gewichtet ihr ernste und komische Stücke?

Waller: Was wir auf jeden Fall verfolgen werden, ist eine bestimmte Art des Zeitstückes. Daß wir Kryptogramm von David Mamet und Kunst von Yasmina Reza machen, ist bestimmt kein Zufall. Wir versuchen neue Stücke hochkarätig zu besetzen, damit sie sich durchsetzen können. Wobei Schauspieler, die ein ernstes Stück spielen und trotzdem die vom Feuilleton verpönten Entertainer-Qualitäten haben, bei uns mit Sicherheit ein Zuhause finden werden. Das ist Programm.

Das heißt, ihr versucht mehr die Synthese aus Ernst und Locker, als die Besetzung verschiedener Spielplanposten.

Waller: Wir versuchen auch mit dem Ernsten etwas Lockeres zu machen. Auch Draußen vor der Tür versuchen wir schon ein bißchen zu entkrampfen.

Tukur: Das ist ja auch ein ziemlich schlechtes Stück. Deswegen braucht es eine gute Idee. Und ich glaube, wir können das Stück aus diesem deutschen Larmoyanz-Sumpf bewegen. Wir werden das Stück in eine seltsame Alptraumwelt übertragen. Das bekommt dann etwas Unterhaltendes, etwas entsetzlich Komisches, im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist dann Theater, wie ich es liebe.

Und das wird dann Programm?

Tukur: Sagen wir es so: Theater wie ich es liebe, das ist der frühe Jerome Savary; Theater der Armseligkeit, des Burlesken, des Skurrilen, Romantischen, Poetischen, Verrückten – aber arm, nicht fett!

Fragen: Till Briegleb

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