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Das linke Tabu ist aufgebrochen

Joschka Fischer und Kerstin Müller diskutierten mit dem Publikum über eine Militärintervention: „Bosnien – wie weiter?“. Pazifisten suchen aber „Heimat“ bei den Grünen  ■ Aus Düsseldorf Walter Jacobs

Die Medien sind seit Wochen voll davon. Joschka Fischers Plädoyer zur militärischen Verteidigung von UN-Schutzzonen provozierte eine Flut von Reaktionen – argumentative, polemische, denunziatorische. Und dann dies: „Ich kann überhaupt nicht verstehen, daß ihr jetzt über Militärinterventionen redet.“ Dafür bekam die junge Frau, die sich mit diesen Worten am Mittwoch abend an die beiden Kontrahenten, Joschka Fischer und Kerstin Müller, auf dem Podium wandte, in dem mit mehreren hundert TeilnehmerInnen überfüllten Saal des Düsseldorfer Kulturzentrums „ZAKK“ lebhaften Beifall.

Gibt es tatsächlich nichts zu diskutieren? Alles nur eine große Medienshow? Soll das „politische Wegducken“, daß der seit Jahren in der Friedensbewegung aktive Bundestagsabgeordnete der Grünen, Winni Nachtwei, beim Thema Bosnien gerade in „friedensbewegten und linken Kreisen“ zu Recht beklagt, immer so weitergehen? In einem Land, in dem über jede neue Müllverbrennungsanlage Tausende so diskutieren, als ginge es um Leben und Tod? Nun, nach dem Fischer-Brief, scheint dieses Tabu aufgehoben. Endlich verläßt die vielbeschworene „Basis“ die Zuschauerränge und mischt sich ein.

Positionen im direkten Gespräch austauschen, erregt, engagiert und dabei offen eigene Unsicherheiten einräumend, wenn dieser Weg tausendfach beschritten wird, so lassen sich Denkblockaden vielleicht eher aufbrechen, als durch die Akteure in der publizistischen Arena. Es gilt dabei liebgewordene Gewißheiten in Frage zu stellen, den Zweifel zu säen. Die Düsseldorfer Diskussion zeigte: Der Nachholbedarf ist riesig. Die bündnisgrüne Partei müsse und könne „den Pazifisten eine Heimat bieten“, befand einer aus dem Düsseldorfer Publikum, denn es sei doch „längst widerlegt, daß militärische Interventionen etwas bringen“.

Tatsächlich? Auch Fischers historischer Hinweis auf die verhängnisvollen Folgen der „Nichtintervention“ der demokratischen Staaten 1936 in Spanien, die dem Faschismus auch in Spanien zur Macht verhalf, vermochte den Zwischenrufer nicht zu erschüttern. So prinzipiell gab sich Kerstin Müller, zusammen mit Fischer an die Spitze der bündnisgrünen Fraktion gewählt, zwar nicht, aber sie weiß immerhin, daß militärische Interventionen in Bosnien nichts bringen, weil diese nur zur Eskalation führe.

Der prinzipiellen Frage aus dem Publikum: „Wärst du auch gegen den Einsatz, wenn damit die Nato die schlimmen Verbrechen verhindern könnte?“, entzog sich Müller so: „Ich glaube, daß das eine Illusion ist. Ich glaube, daß es durch die Intervention noch mehr Krieg gibt. Im Moment zeigt sich ja, daß man mit den Bombardements nichts erreicht.“

Die Nato auf Seiten der Humanität? Das scheint für viele westdeutsche Linke ein unvorstellbarer Gedanke. Auch mit Blick auf die jüngsten russischen Äußerungen mag Müller nicht „auf Militäreinsätze setzen“ und „die Nato schon gar nicht“. Waffen und Energieboykott, Aufnahme von Flüchtlingen und Deserteuren, das seien die Alternativen. Barbara Steffens, Vorstandssprecherin der NRW- Grünen, empfiehlt der Partei darüber hinaus, über „die Evakuierung der Schutzzonen zu diskutieren“ – als humanere Alternative. Einem Diskutanten aus Wuppertal wird heftig applaudiert, weil für ihn die „Nato weiterhin ein Instrument des Kalten Krieges ist“, das, da springt ihm ein Grüner aus Dortmund bei, „wie die Bundeswehr abgeschafft gehört“. Die Mehrheit applaudiert stürmisch. Ralph Giordanos Appell in der taz, „ohne den militärischen Einsatz der Nato-Mächte sind die Opfer der serbischen Angreifer, ist Bosniens Muslimbevölkerung nicht mehr zu retten“, greift außer Fischer niemand auf.

Doch auch Fischer bekommt Beifall, als er zur geforderten Nato-Auflösung dieses sagt: „Dann wären wir hier ganz allein mit unseren Nationalisten – und davor habe ich Angst.“ Der Hauptfeind sei für ihn der Nationalismus. Um den zu bändigen, gehe es in Zukunft auch um die Frage, „wie können wir ein internationales Gewaltmonopol durchsetzen? Diese Debatte brauchen wir dringend.“ Zumindestens in diesem Punkt, das zeigte der Applaus, stimmten ihm auch viele seiner Gegner zu. Die Sprachlosigkeit scheint überwunden.

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