: Genossen im Häuserkampf
Schilda mitten in Berlin: Um ein besetztes Haus in Alt-Stralau streiten sich der PDS-Abgeordnete Freke Over und SPD-Kollege Rudolf Kujath ■ Von Uwe Rada
Als er auf der konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses vor seinem Parlamentssessel das Namensschild „Frederike Over“ vorfand, wurde es dem mannhaften Sponti doch zu bunt. Kurzerhand trieb der PDS-Jungabgeordnete Frederik „Freke“ Over einen überlangen Schraubenzieher auf und machte sich während der Plenarsitzung daran, das falsche Schild abzuschauben. Über soviel ungestümes Parlamentarierverhalten mußte sich sogar PDS-Kollege Michail Nelken wundern, wie Over sonst ein entschiedener Freund außerparlamentarischen Tuns.
Doch an Freke Over, der sich wegen einer (gefälschten) Unterschrift unter den Mainzer-Straßen- Demoaufruf „Zu den Waffen“ bereits den Ärger der ausgeschiedenen Parlamentspräsidentin Laurien zugezogen hatte, werden sich die Genossen von der PDS ebenso gewöhnen müssen wie die von der SPD. Insbesondere für den Parlamentskollegen Rudolf Kujath (52) ist das keine leichte Übung. Immerhin stehen sich der soziale Demokrat und der demokratische Sozialist auf zwei Seiten der ein- und derselben Barrikade gegenüber. SPD-Kujath ist Prokurist der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) und möchte den Parlamentskollegen Over am liebsten auf der Straße wissen. Der Grund: Over, derzeit der einzige aktive Hausbesetzer in der Schaubude im Preußischen Landtag, wohnt in Alt-Stralau 46, einem okkupierten Gebäude, das von Kujaths WBF verwaltet wird.
Lang ist die Geschichte und – wie immer, wenn es um Immobilien geht – reichlich verworren. Im letzten Frühjahr wurden die leerstehenden Wohnungen in den Alt- Stralauer Hüttenhäusern wieder bezogen. Die von der Stralauer Glashütte 1902 errichteten Wohnhäuser standen teilweise seit Jahren leer; illegal, wie sich bald herausstellte. Doch die WBF, die bei ordentlicher Amtsführung im Bezirksamt eigentlich mit einer Leerstandsbuße zu rechnen gehabt hätte, war über die neuen Bewohner wenig erfreut. Der Grund: Ein laufendes Restitutionsverfahren, das die WBF durch wertmindernde Hausbesetzer nicht unnötig belasten wollte. Gleichwohl sicherte WBF-Geschäftsführer Batschulat den Besetzern am 1. Juni vergangenen Jahres Ausbaumietverträge in anderen Häusern der Gesellschaft zu. Bis dahin würden die Bewohner in Alt-Stralau geduldet. Kurze Zeit später wollte die WBF von ihrem Versprechen jedoch nichts mehr wissen und stellte einen Räumungsantrag. So verging die Zeit auf der Friedrichshainer Halbinsel mit Däumchendrehen und schönen Grillfesten im Hof des Besetzeranwesens.
Seit den Abgeordnetenhauswahlen freilich ist alles anders. Seitdem wird um die Alt-Stralauer Barrikade gekämpft. Mit harten Bandagen. Und unter Kollegen. Den Spaßverderber macht dabei der SPD-Neuabgeordnete und – wie wir wissen – WBF-Geschäftsführer Rudolf Kujath. Er beließ es nicht beim Räumungsbegehren, sondern stellte gegen den PDS-Kollegen Freke Over und seine Mitbesetzer gar eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, schließlich begründet Kujath sein Tun ganz „selbstverständlich mit der Berliner Linie“, und die sehe Neubesetzungen nun einmal nicht vor.
Der gegen derartige Anfeindungen durch seine Abgeordnetenhausimmunität geschützte PDS-Sponti reagierte zunächst mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und warnte den Kollegen Sozialdemokraten mit „sozialistischen Grüßen“ davor, weitere Obdachlosigkeit zu produzieren. Die öffentliche Meinung weiß Over dabei auf seiner Seite. Mit 5.000 leerstehenden Wohnungen stehen der Bezirk Friedrichshain und die WBF an einsamer Spitze, ohne daß dies Kujath und seine Wohnungsbaugesellschaft daran hindern würde, Wohnungsbesetzer wieder auf die Straße zu klagen.
Kujath freilich blieb die Antwort schuldig. Offenbar hat der Sozialdemokrat an einem „Gysi-Lafontaine-Gespräch“ auf Friedrichshainer Bezirksebene kein Interesse. Mehr noch. Seine Taktik heißt: „Links liegenlassen.“ Kujath will noch nicht einmal gewußt haben, verrät er dieser Zeitung, daß einer der Bewohner ein PDS-Abgeordneter ist.
PDS-Over sieht dem Abgeordnetenmobbing freilich gelassen entgegen: Schließlich treibt Genosse Stimmungsbarometer die Sozis derzeit auch im Osten zum zweiten (verhaltenen) Händedruck mit „Gysi und sein Trupp“. Und auch die Justiz weiß Over auf seiner Seite. In anderer Sache hatte das Landgericht erst kürzlich entschieden, daß eine Duldung in einem besetzten Haus einem normalen Mietverhältnis gleichkomme. Sollte es also doch noch eine Chance geben für ein rosa-rotes Friedensfest in Alt-Stralau? Vieleicht ein Jahr nach der Besetzung, am Kampftag der Arbeiterklasse, dem 1.Mai?
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