: Zeit des Kopfeinziehens
Kubas Führung bläst zum Ideologie-Feldzug: Mit großem Knüppel und kleinen Schlägen werden Kubas Intellektuelle auf Linie gebracht ■ Von Bert Hoffmann
Das kleine Forschungsinstitut hat die Inquisition im Haus: Der Direktor ist gefeuert, und eine Parteikommission ist eingesetzt, um den „negativen Tendenzen“, der „ideologischen Abweichung“ und den „subtilen Formen der Glasnost“ ein Ende zu setzen, die hier ihr Unwesen treiben. Kubas Staatsmacht zeigt ihre Zähne.
Ort des Geschehens ist das Zentrum für Amerika-Studien (CEA) in Havannas elegantem Villenviertel Miramar. Ein paar Straßen weiter liegt der einstige „Diplomatenladen“, heute der größte Dollar- Supermarkt der Insel; in die andere Richtung etwa gleich weit entfernt das Museum des Innenministeriums, in dem in zahllosen Vitrinen gezeigt wird, wie die Sicherheitskräfte seit Jahrzehnten alle Unterwanderungsversuche durch Imperialismus und Konterrevolution zerschlagen. Und diese Schlacht hat in Kuba wieder einmal Hochkonjunktur.
Kalter Krieg gegen ideologische Abweichler
Seit dem Abschuß zweier ziviler Flugzeuge durch Kubas Luftwaffe und der Verschärfung des Wirtschaftsembargos durch den US- Kongreß haben die Beziehungen zwischen Havanna und Washington einen neuen Tiefpunkt erreicht. Das münzt die kubanische Führung um in einen kalten Krieg gegen „Abweichler“ in den eigenen Reihen. Erwischt hat's – wieder einmal – Kubas Intellektuelle.
Es war Fidel Castro selbst, der vor dem Zentralkomitee der Partei vor wenigen Wochen zu einem großen „ideologischen Feldzug“ aufrief. In der Folge überließ er es seinem Bruder Raúl, seines Zeichens Armeechef und zweiter Mann im Staate, diese Kampfansage in einem Grundsatzreferat auszuformulieren. Man sei zu lange zu tolerant gewesen, so die Analyse, die Raúl Castro im Namen des Politbüros vortrug. Nun müsse man mit revolutionärer Entschlossenheit gegen all jene vorgehen, die sich zum „Instrument des Feindes“ machen lassen. Was keineswegs nur die Dissidenten meinte. Die Gefahr, so der General, sei vielmehr die ideologische Aufweichung vor allem in den akademischen Institutionen, bestimmten Presseorganen und sogenannten „regierungsunabhängigen Organisationen“. Raúl Castro: „Wir wollen, daß den Betreffenden klar wird: Wir werden das ganz einfach nicht länger erlauben.“
Seitdem weht in Kubas intellektueller Welt ein eisiger Wind. Dem kleinen Zentrum für Amerika-Studien, vor 20 Jahren auf Beschluß des Zentralkomitees der KP gegründet, kommt die fragliche Ehre zu, als abschreckendes Exempel herhalten zu müssen. Raúl Castros Attacke gegen das CEA: Dort „haben sich Naivität und Pedanterie gemischt, sind die Klassenprinzipien aufgegeben worden und ist man der Versuchung erlegen, zu reisen und Bücher nach dem Geschmack derer zu veröffentlichen, die bereit waren, dafür zu zahlen“. Und weiter: „Mehrere Genossen gingen den ausländischen Kubanologen ins Netz, die in Wirklichkeit der Politik der USA dienen, die darauf abzielt, eine Fünfte Kolonne aufzubauen.“
Solche Vorwürfe aus höchstem Munde sind schweres Geschütz. Was war im CEA geschehen? Die Erklärung des Politbüros gibt darauf keine Antwort. Die Angriffe sind zwar überaus scharf formuliert, sie werden jedoch in keinem Punkt konkret: Keine Publikation wird beim Namen genannt, kein Wissenschaftler, kein Seminar.
Keiner weiß, wen's trifft, also ducken sich alle
Auch die Folgen für die Übeltäter werden in harten Worten angekündigt, tatsächlich aber gänzlich im unklaren belassen. Und genau diese Ungewißheit hat System: Gerade weil die Drohung denkbar massiv, aber völlig ungenau ist, wirkt die Einschüchterung so flächendeckend: Niemand weiß, wer auf den Kopf bekommt, also ducken sich alle.
Castros Rede ist kein „Gegenangriff der Orthodoxen gegen die Wirtschaftsreformen“, wie vielfach interpretiert wurde. Zwar wettert Raúl Castro wild gegen unzählige Nebenwirkungen der wirtschaftlichen Situation: Eine „Schicht Neureicher“ sei entstanden, der Dollar führe zu Ungleichheiten und Werteverfall, der Tourismus transportiere kapitalistische Ideen ins Land, die Jugendarbeitslosigkeit habe „enorme Wirkung auf einen Teil der Jugend“, es gebe gravierende Probleme mit Prostitution, Zuhälterei und Korruption unter Funktionären „der mittleren und unteren Ebene“. Aus all dem folgt bemerkenswerterweise jedoch die Bestätigung der Reformschritte: Dies sei „der einzige Sozialismus, der in Kuba heute möglich ist“. Und gegen die negativen Begleiterscheinungen müsse die Partei eben mit ideologischer Arbeit vorgehen.
Dieser Feldzug dürfe nicht nur gegen diejenigen gehen, die, so Raúl Castro, „eine Ideologie vertreten, die nicht die unsere ist und mit denen entsprechend umzugehen sein wird; sondern es geht auch um jene in diesen Studienzentren, die dazu eine passive Haltung einnehmen“. Und nicht nur um die Studienzentren. In einem lapidaren Nebensatz bringt Raúl den Rundumschlag unter, daß „auch in den Universitäten, dem Filmschaffen, im Radio und im Fernsehen und in der Kultur im allgemeinen“ Verhalten zu finden sei, das von „annexionistischer Orientierung“ geprägt sei und das es entschieden zu bekämpfen gelte.
„Die Stimmung ist das erste Opfer“
Castros Drohrede hat viele Befürchtungen hervorgerufen und schlimmste Erinnerungen geweckt. „Die Stimmung“, so ein Beobachter, „ist das erste Opfer.“ Tatsächlich ist in praktisch allen Bereichen, von Kultur bis Kirche, von Presse bis Entwicklungszusammenarbeit, ein Rückzug auf rigide Positionen unübersehbar.
Vieles davon bleibt noch vage. Eine Reihe von Zeitschriften soll eingestellt worden sein, ist zu hören: die Gaceta des Schriftstellerverbandes, auch die Vierteljahrespublikation Temas, die erst vor gar nicht langer Zeit als Aushängeschild eines vorsichtigen intellektuellen Tauwetters gegründet worden war. Das sind noch nicht die vielfach befürchteten Säuberungen auf breiter Front. Doch der zur Schau gestellte Knüppel wirkt bereits Wunder auch bei denen, die er verschont. Es ist die Zeit des Kopfeinziehens und Abwartens.
Für die in der Rede direkt angegriffenen Studienzentren wurden Parteikommissionen eingerichtet, die die Institute „im Lichte dieser Orientierungen“ überprüfen sollen. Im Fall des CEA wurde direkt nach Castros Rede der Direktor abgesetzt und durch Dario Machado ersetzt, der für diese Aufgabe vor allem eine Qualifikation mitbringt: Er ist Sohn des alten Politbüro-Hardliners Machado Ventura. Auch die Leitung der Parteikommission wurde mit einem Fachmann besetzt: José Ramón Balaguer, langjähriger Ideologiechef der KP und als Kubas Botschafter in Moskau zur Gorbatschow-Zeit zweifelsohne Experte für das Aufspüren von „neuem Denken“ und anderen Machenschaften der Konterrevolution.
Wie die Geschichte für das Zentrum für Amerika-Studien ausgeht, bleibt dennoch ungewiß. Dem Vernehmen nach zeichnet sich nach der so lauten Attacke nun womöglich eine sehr stille Lösung ab. Das Zentrum soll sich fortan lediglich, so ist zu hören, „seinem eigentlichen Zweck“ widmen: dem Studium Amerikas – und zwar dem Rest Amerikas, nicht Kubas. Sollen die Erneuerer doch die Strukturanpassung in Paraguay erforschen.
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