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"Auch meine Verwaltung braucht Stellenabbau"

■ Sparen oder umverteilen? Streitgespräch zwischen SPD-Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing und Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung über einen sozialverträglichen Weg

taz: Frau Fugmann-Heesing, Sie haben politischen Erfolg damit gehabt, daß Sie in dieser hochverschuldeten Stadt einen Mentalitätswandel eingefordert haben. Viele Menschen honorierten das, weil sie das Gefühl hatten, endlich nicht mehr belogen zu werden. Aber die entscheidende Frage wird nicht diskutiert: Wie sparen wir, was wäre sozial verträgliches Sparen? Bisher wird querbeet per Rasenmäher gekürzt, ohne zu schauen, wen es trifft.

Fugmann-Heesing: Wir mußten, um so schnell wie möglich einen Kurswechsel herbeizuführen, auch mit dem Rasenmäher vorgehen. Wenn Sie sehen, die Karre fährt vor die Wand, können Sie nicht lange diskutieren, in welche Richtung man das Lenkrad dreht. Erst jetzt kommen wir in eine Situation, wo wir strukturelle Überlegungen anstellen müssen – bei den Wohnungsbauprogrammen, im Wissenschaftsbereich, bei der Kultur. Das kann ich als Finanzsenatorin nicht alleine, das muß der Senat tun, das Abgeordnetenhaus, die Stadt insgesamt. Wir müssen das debattieren, damit wir eben nicht länger nach Rasenmäherprinzip vorgehen.

Vesper: Ich habe die Befürchtung, daß die Geschwindigkeit, mit der dieser Kurs gefahren wird, zu hoch ist. In einer Stadt, in der so rege gebaut wird, wäre es nicht tragisch, sich die eine oder andere Baustelle zu sparen. Tragisch finde ich vielmehr die Einsparungen an den Hochschulen, in der Forschung, in der Kultur, denn das sind Berlins Standortfaktoren. Natürlich kann man auch da über höhere Effizienz und bessere Mittelkontrolle nachdenken, aber dennoch sind das im weiteren Sinne hochinvestive Ausgaben mit gesellschaftlich nützlichem Charakter. Wenn ich wählen könnte zwischen Ausgaben für den Transrapid und Hochschulinvestitionen, dann würde ich immer letzteres bevorzugen, und Stadtentwicklungsprojekte haben größere Beschäftigungseffekte als irgendwelche Tiergartentunnel.

Fugmann-Heesing: Ich hoffe, daß wir in zwei, drei Jahren soweit sind, daß wir eine klare Priorität zugunsten von Bauunterhaltung statt Neubau setzen können, denn das ergäbe höhere Beschäftigungseffekte. Die Entscheidung, den vierten Messeabschnitt zu bauen, ist eine Entscheidung, die Stärken der Stadt weiter auszubauen. Natürlich müssen wir gerade in Berlin die Standortfaktoren Wissenschaft und Kultur stärken. Das heißt aber nicht, daß wir dort nicht kürzen dürfen. Wir brauchen strukturpolitische Diskussionen: Warum reden wir nicht darüber, daß wir effizientere Verwaltungen an den Hochschulen brauchen, daß Berufungen nur noch auf Zeit erfolgen dürfen, daß es eine Leistungskontrolle bei Forschung und Lehre geben muß, daß die Lehre verbessert wird, daß mehr hochschuleigene Einnahmen erzielt werden.

Vesper: Das mag richtig sein. Aber warum kürzt man erst pauschal und führt dann die Strukturdebatte?

Fugmann-Heesing: Weil ich Ihnen als Finanzpolitikerin sage, daß man sonst endlose Strukturdebatten führt und nichts passiert. Das ist meine Erfahrung.

Hier stimmt die Logik nicht. Müssen wir nicht statt teurem Messeausbau den zweiten und dritten Arbeitsmarkt stärken und ABM- Projekten erlauben, Profite zu machen, um sich auszubauen?

Vesper: Das ist eine defensive Strategie, nur den zweiten oder dritten Arbeitsmarkt auszubauen. Zunächst muß ich mich doch fragen, wie ich durch eine Mischstrategie die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs bringen kann. Wir benötigen Wachstumsraten von drei Prozent und mehr, um die Erwerbslosigkeit signifikant zu senken. Die Krise des Sozialstaats und der öffentlichen Haushalte ist doch Folge der Wirtschaftskrise: Immer weniger Beschäftigte müssen immer mehr Transfereinkommensbezieher alimentieren. Deshalb brauchen wir dringend eine expansive Wirtschafts- und Finanzpolitik. Den Unternehmern hilft keine Entlastung, wenn keine Impulse von der Nachfrageseite her kommen. Eine solche expansive Finanzpolitik ist allerdings vorrangig Bundesaufgabe.

Die Staatsverschuldung ist in den letzten 17 Jahren gestiegen, egal ob wir eine gute oder schlechte Konjunktur hatten. Sind also die Instrumente der Haushaltsführung untauglich? Muß man nicht ganz neu denken? Stichwort: Umverteilen statt sparen.

Vesper: Es stimmt, daß die Politik in der Vergangenheit nicht darauf geachtet hat, in wirtschaftlich besseren Zeiten Rücklagen zu bilden. 1989 ist das übrigens gelungen. Aber dann kam die deutsche Einheit, deren Lasten falsch finanziert wurden. Die Bundesregierung hat in einer Phase der Prosperität die Konjunktur durch massive öffentliche Kredite zusätzlich angeheizt, statt die Einheit über höhere Steuern zu finanzieren – wozu die Bevölkerung ja durchaus bereit gewesen wäre. Also hat sich die Staatsverschuldung binnen fünf Jahren verdoppelt, was die Politik fast handlungsunfähig gemacht und uns die jetzigen Probleme eingebrockt hat. Aber ich glaube, eine Verringerung der Defizite wird erst in einem konjunkturellen Aufschwung möglich sein. Eine Haushaltskonsolidierung in einer Abschwungphase, das sagen auch sämtliche internationalen Gutachten, macht keinen Sinn: Man kann das Ziel nicht erreichen.

Fugmann-Heesing: Das bestreite ich. In Berlin bezahlen wir 30 Prozent unserer Steuereinnahmen für Zinsen und zinsähnliche Ausgaben. 1999 werden es 40 Prozent sein, auch wenn uns die Konsolidierung gelingt! Diese Zahlen sprechen doch für sich. Wenn die Stadt ihre Handlungsfähigkeit behalten will, muß sie auf die Ausgabenbremse treten. Gesamtgesellschaftlich stimme ich Ihnen jedoch zu: Jetzt ist der falsche Zeitpunkt, um über generelle Steuersenkungen zu sprechen, höchstens in einzelnen Bereichen. Wenn die öffentlichen Haushalte trotz dieser hohen Steuern solche großen Probleme haben, dann kann man die Frage „Umverteilen statt sparen“ so nicht stellen. Auch wenn wir umverteilen, reicht das für eine Konsolidierung nicht aus. Umverteilen plus sparen ist der richtige Weg. Gerade in Berlin brauchen wir einen Mentalitätswechsel. Die Baukosten sind zu hoch, die Stellenpläne sind zu umfangreich, die Gebühren zu niedrig.

Vesper: Da stimme ich völlig mit Ihnen überein. Allerdings hat ein Landeshaushalt kaum Möglichkeiten, die Steuerpolitik nennenswert zu beeinflussen.

Wenn man per Rasenmäher spart, leiden ärmere Schichten viel stärker als die Mittel- oder Oberschicht. Das bisherige Sparen war eine Negativpolitik, keine gestaltende Politik. Der Sprecher der SPD-Fraktion formulierte deswegen schon an einer Grabinschrift: „Hier ruht die SPD. Sie sanierte erfolgreich den Haushalt.“

Fugmann-Heesing: Ich halte es für ursozialdemokratisch, die Zukunft zu sichern. Wenn wir jetzt keine Konsolidierung schaffen, dann gibt es in drei, vier Jahren keine Politik mehr in dieser Stadt. In Offenbach sind sämtliche Bäder geschlossen worden, werden nur noch Eigentumswohnungen gebaut, weil die Stadt schlicht handlungsunfähig ist. Ich stimme Ihnen zu: Konsolidierung trifft die Ärmeren viel mehr als die Reichen, weil erstere auf die öffentlichen Angebote angewiesen sind, letztere nicht. Das Yuppie-Paar mit Privatpool und Fitnessclub braucht kein öffentliches Schwimmbad und kein Sportförderprogramm. Also: Lieber jetzt differenzierte Öffnungszeiten einführen als in ein paar Jahren alle Bäder schließen.

Warum werden dann Golfclubs oder der International Club mit einer lächerlich geringen Miete gesponsert? Die Besitzstände der Reichen werden nicht angegriffen, aber die der anderen.

Fugmann-Heesing: Die Frage der Subventionierung eines Golfclubs ist sehr berechtigt, natürlich muß man da ansetzen.

Solche Beispiele nähren die Bitternis und Wut in der Bevölkerung. Wir leben in einem ungeheuer reichen Land, das seine Reichen durch Steuernachlässe immer weiter mästet und gleichzeitig seiner Jugend die Zukunft abspricht, ihr nämlich eine adäquate Ausbildung in Hochschulen oder in Lehrstellen verunmöglicht. Klientelpolitik allüberall: Die Senatsverwaltungen in Berlin werden immer größer und fetter, die bürgernahe Verwaltung in den Bezirken wird immer weiter ausgedünnt.

Vesper: Richtig: Gemessen an anderen Städten ist die Berliner Verwaltung viel zu umfangreich. In den letzten Jahren ist die Zahl der dort Beschäftigten zurückgegangen, in den Kitas oder Schulen kam es zu heftigen Stellenkürzungen, in der klassischen staatlichen Bürokratie aber wurden die Stellen sogar noch aufgestockt. Das schafft Verbitterung. Statt den Schulen Autonomie zurückzugeben, wird der Wasserkopf eines Landesschulamtes neu geschaffen. Das ist doch unglaublich.

Fugmann-Heesing: Wir brauchen dringend eine Reform des öffentlichen Dienstrechts. Selbstverständlich müssen wir in der Hauptverwaltung Stellen abbauen.

Vesper: Davon höre ich nie was!

Fugmann-Heesing: Auch meine Finanzverwaltung kann einen Stellenabbau vertragen, sie braucht ihn sogar in manchen Bereichen. Wir haben zum Teil eine Überbesetzung und dadurch Doppel- und Dreifachzuständigkeiten, die den Arbeitsfluß eher behindern. Das Problem ist, daß wir im öffentlichen Dienst an bestimmte Personalstrukturen kurz- und mittelfristig gar nicht herankommen. Das öffentliche Dienstrecht hindert uns an Reformen. Warum ist es nicht möglich, bundesweit ein Beamtenrechtsrahmengesetz zu verabschieden, mit dem wir Führungspositionen nur noch auf Zeit besetzen? Warum haben Abteilungsleiter einen Beruf auf Lebenszeit? Wir sollten auf Bundesebene aktiv werden und den Mut aufbringen, im Land Führungspositionen auf Zeit zu besetzen. Niedersachsen hat das gemacht. Das birgt ein gewisses verfassungsrechtliches Risiko, aber ich würde das in Kauf nehmen. Wenn wir diesen Bereich nicht antasten, dann haben wir weiterhin riesige Personalkosten, die wir über die Kürzung von bürgernahen Bereichen einsammeln müssen.

Ein Beispiel: Die Sozialverwaltung hat einen Fonds von 40 Millionen Mark in die Hände der Wohlfahrtsverbände gelegt, damit sie diesen selbst verwalten. Die Staatssekretärin sagt: Mein Personal, das dieses Geld bisher verwaltet hat, bleibt selbstverständlich.

Fugmann-Heesing: Deshalb brauchen wir so dringend ein Querschnitts-Controlling als Teil der Verwaltungsreform.

Vesper: Es muß ein Haushaltsdefizit von über 10 Milliarden abgebaut werden. Also muß es irgendwo zu Leistungseinschränkungen kommen oder zu höheren Gebühren. Wenn ich darauf verzichte, immer die teuersten Dirigenten und Sänger zu holen, und von den betuchten Opernbesuchern höhere Eintrittspreise verlange, kann ich auch drei Opern finanzieren. Wenn ich in ein Rockkonzert gehe, zahle ich schließlich auch 70 Mark. Und wenn Sie sich die Konsolidierung bis zum Jahr 2000 vorgenommen haben, müssen Sie deutlicher als bisher sagen: Das kostet hier 70.000 bis 75.000 Arbeitsplätze.

Fugmann-Heesing: Das müßte man erstmal näher belegen. Ich bin für sozial differenzierte Gebühren. Ich sehe nur nicht ein, daß wir hier noch Gebühren haben, die hinter die bundesweit übliche Höhe zurückfallen. Die Kitagebühren hier waren nur für zehn Monate zu entrichten und lagen auch im oberen Bereich unter dem, was in anderen Städten ist. Auch bei den Opern ist sicher vieles machbar.

Stichwort Bildung. Was ist daran sozialdemokratisch oder zukunftssichernd, wenn Studiengebühren eingeführt, Studienplätze und das 13. Schuljahr gekürzt werden?

Fugmann-Heesing: Wir laufen in Berlin Gefahr, ein Zwei-Klassen-Schulsystem zu errichten. Wir haben Schnelläuferklassen, die von Kindern bestimmter Schichten besucht werden, und normale Klassen. Wir brauchen aber ein einheitliches Schulsystem, das gleiche Chancen für alle garantiert. Wir brauchen – auch im internationalen Vergleich gesehen – eine Verkürzung der Schul- und Studienzeiten, damit Menschen in jungen Jahren einen Berufsabschluß haben. Ich sage das auch als Frau: Das Studium wird zwischen 25 und 30 abgeschlossen, eine Frau muß also in der üblichen Familiengründungsphase beruflich ihre ersten Schritte gehen. Sie braucht ungefähr fünf Jahre, um sich beruflich zu etablieren. Sie ist 35, bis sie ihr erstes Kind kriegt. Also sage ich: Zwölf Schuljahre sind ausreichend. Mag sein, daß ich bildungspolitisch keine Ahnung habe, aber diskutieren müssen wir das trotzdem.

Zufall oder nicht, es werden genau die Fachbereiche weggekürzt, in denen bei Studierenden und Lehrpersonal überproportional viele Frauen sind: Pharmazie, Zahnmedizin, Schauspiel, Erziehungswissenschaften.

Fugmann-Heesing: Die Schließungen bestimmter Fächer waren schon in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, bevor ich nach Berlin kam.

Krisen sind immer auch Chancen, bisherige Modelle zu überprüfen und vielleicht sogar zu größerer Chancengleichheit zu kommen. Statt dessen überall nur Klientelpolitik: Die politikernahe Hauptverwaltung wird aufgebläht, die bürgernahe Bezirksverwaltung ausgedünnt. Die BVG-Sozialkarte wird abgeschafft, die Abgeordneten dürfen weiter kostenlos U-Bahn fahren. Die Sozialleistungen werden überall gekürzt, die nach Berlin ziehenden Bonner Beamten kriegen Umzugshilfen und Eingliederungshilfen und Ausgliederungshilfen. Ich kann die Empörung darüber gut verstehen.

Fugmann-Heesing: Ich stimme Ihnen völlig zu. Wir brauchen eine offene Diskussion über die einzelnen Politikfelder.

Das Interview führten Ute Scheub

und Gerd Nowakowski

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