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Musik gegen Music

Die Forderung nach einer Quote zugunsten deutscher Rockmusik ist provinziell. Auf die Ökonomie bezogen, ist „One World“ längst Realität  ■ Von Birger Holm

Einen Zweck hat die vom Deutschen Rock- und Popmusikerverband (DRMV) in seiner Deklaration vom Herbst 1995 geforderte Rundfunkquotenregelung bislang erreicht: Sie hat bundesweit für Aufregung gesorgt. Nicht nur der Musiker, auch der Spiegel und die Woche interessierte die Forderung des DRMV, 40 Prozent der bundesdeutschen Musikprogramme mit Produktionen einheimischer und insbesondere deutschsprachiger KünstlerInnen und MusikurheberInnen zu bestreiten und dies von einer „Medienaufsichtsbehörde“ überwachen zu lassen. Per Unterschrift unterstützen inzwischen zahlreiche MusikerInnen die Deklaration des DRMV, so Udo Lindenberg, Wolfgang Niedecken, Peter Maffay, Heinz Rudolf Kunze, Stefan Remmler, Konstantin Wecker, die Puhdys und PUR – allesamt Künstler, die sich bisher nationalistischer Töne nicht verdächtig gemacht haben. Soll diese Debatte zukünftig konstruktiv geführt werden, bedarf sie einiger Anmerkungen.

Der DRMV begründet seine Forderung nach einer Quotenregelung zum einen mit der wirtschaftlichen Benachteiligung deutscher MusikerInnen und der mit ihnen verbundenen Musikwirtschaft, zum anderen mit der Notwendigkeit einer Stärkung von deren kultureller Identität. Ziel sei es, vor der konzerngesteuerten „Flut amerikanischer Musikproduktionen zu schützen“ (Musiker 1/96) und einheimischen Rock- und Popmusikschaffenden einen höheren Anteil an Arbeit, Einkommen und Anerkennung zu verschaffen.

Schon die wirtschaftliche Seite der Medaille macht die Schwierigkeit des Unterfangens deutlich. Summiert man die Umsatzanteile nichtamerikanischer Medienunternehmen – Philips/NL (20 Prozent), Bertelsmann/D (16 Prozent), EMI-Thorn/GB (16 Prozent), Sony (10 Prozent) (Musiker 2/95) am internationalen Tonträgermarkt, so ergibt sich eine Zahl von 62 Prozent. Es kann also nicht so getan werden, als ob europäische oder asiatische Unternehmen lediglich am Katzentisch säßen und den Amerikanern das Buffet überließen. Die Crux dabei: Ist Bertelsmann – Stammsitz Gütersloh, Geschäftsleitung New York – ein deutsches oder amerikanisches Unternehmen? Dito: Sony japanisch oder amerikanisch, Philips deutsch oder niederländisch? Die Beantwortung dieser Frage ist weder möglich noch relevant. Zu undurchschaubar sind die multinationalen Verflechtungen mit ihren nationalen Dependancen, zu unwichtig die örtliche Beheimatung der Unternehmen. Wenn hier von einer „Flut“ gesprochen werden kann, dann von der der internationalen Kapitalströme, die genau dort hinfließen, wo es möglich ist, kostengünstig zu produzieren und zu fertigen, und dort abfließen, wo beim Verkauf eine Hochpreispolitik am Markt durchzusetzen ist. Der Begriff der Nation ist, bezogen auf den Wirtschaftsfaktor Rockmusik, völlig obsolet: Die nationalen Volkswirtschaften haben längst ihre Solokonzerte beendet. Zugaben sind nicht zu erwarten. Die nationenübergreifende Steuerung der Kapitalströme ist zur entscheidenden Größe geworden.

Daß dies dazu geführt hat, die Bundesrepublik – umsatzbezogen – zwar zum drittgrößten Tonträgerverkaufsplatz der Welt ist zu machen, bei der künstlerischen Produktion und dem daraus erzielten Einkommen aber eher den Status eines Entwicklungslandes hat, ist bedauerlich. Indes, das Rad an diesem Punkt mit einer Quotenregelung zurückdrehen zu wollen wirkt ähnlich rührend wie der Versuch, mit einer Mundharmonika dem Schalldruck eines 20.000- Watt-Sound-Systems entgegenzutreten.

Zudem: Soll zukünftig den deutschen KünstlerInnen, die im Ausland erfolgreich sind, dort ebenfalls mit nationalen Quoten begegnet werden? Dieses wäre eine zumindest wahrscheinliche Konsequenz aus einer deutschen Quotenregelung. Was würden wohl die Dissidenten dazu sagen, die Ende der 80er Jahre – fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit – in Nordafrika Hunderttausende Kassetten verkauften, die Scorpions, die erst über Japan den internationalen Markt erschlossen, oder die ungezählten Techno-KünstlerInnen und -Produzenten, die in den 90ern weltweit erfolgreich sind und ihre Girokonten mit Geldsorten aller Länder auffüllen? Auf die Ökonomie bezogen: Hier ist „One World“ längst Realität.

Wie steht es nun mit der kulturellen Seite der Medaille?

In der Öffentlichkeit haben sich hier vor allem Heinz Rudolf Kunze, Ulla Meinecke und Michael Naura exponiert. Leider reicht die Definitionskraft von Kunze und Meinecke nicht über das Apostrophieren von deutscher Sprache als ein „Stück kultureller Identität“ (Ulla Meinecke vor dem 10. Bundeskongreß des DRMV) hinaus. Was diese Identität ausmacht, bleibt im dunkeln. Auf welche musikkulturellen Traditionen sollen sich deutsche RockmusikerInnen beziehen? Etwa auf den Minnesang eines Walther von der Vogelweide, die Marschmusik des deutschen Militarismus preußischer Prägung, die Pfadfinderlieder der Wandervogelbewegung, die zwölftönenden Atonalen um Schönberg und Hindemith oder gar die Koryphäen der deutschen Klassik? Oder sollen der deutsche Schlager der Wirtschaftswunderzeit oder die 60er-Jahre-Beatmusik eines Peter Kraus zum identitätsstiftenden Leitbild zukünftiger deutscher Musikergenerationen werden?

Absurd das – zugegeben; gleichzeitig aber auch kennzeichnend für die Unmöglichkeit, eine abgrenzbare, einheitliche, deutsche musikkulturelle Identität oder Tradition zu beschreiben. Der internationale Charakter der Rockmusikkultur ist nicht per Dekret zu beenden: Die untrennbare Verknüpfung von regionalen sozialen Bewegungen und deren ursprünglichen künstlerischen Ausdrucksformen, die Einbindung derselben in multinationale musikindustrielle Verwertungsprozesse sowie die begleitende Medien- und Zeitungsindustrie arbeiten weltumspannend.

Was bleibt, ist als kleinster identitätsstiftender Nenner die Sprache. Doch auch hier: Ist Kölsch- oder Hessenrock deutsch? Sind die Texte eines H.R. Kunze, Konstantin Wecker, Bernd Begemann, Hardy Engler oder einer Nina Hagen, Tamara Danz, Jule Neigel oder Nicole von ihrem Gehalt her deutsch? Liegt ihre Gemeinsamkeit nicht eher in ihren Unterschieden, in ihrer individuellen Ausprägung, in subjektiv unterschiedlicher Wahrnehmung und Wiedergabe der eigenen Lebenswelt?

Wenn Kunze die Flut von ausländischer Musik und eben auch ausländischem Schund“ beklagt, so muß sich die Frage anschließen, ob eine Quotenregelung die Qualität deutschsprachiger Rockmusik verbessern würde. Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Von Rundfunkanstalten ausgestrahlte deutsche Masse wird nicht gleich Klasse sein. Auch hier wird sich in den Formatradios dann – deutschsprachiger – Mainstream ohne Ecken und Kanten durchsetzen, „weil irgendwelche anonymen Werbekunden das [...] so wollen“ (so Kunze in seiner Argumentation). Warum sollten bei deutschsprachiger Musik andere Marktgesetze gelten als bei angloamerikanischer? Es mag jedeR selbst die Qualität deutschsprachiger Rockmusik beurteilen. Entsetzlich wäre jedoch die Vorstellung, daß eine wie auch immer strukturierte „Medienaufsichtsbehörde“ darüber wachen würde. Erfahrungen mit der Reichskulturkammer der Nationalsozialisten oder dem Kulturlektorat der DDR sollten eigentlich genügen. „Beat the new boss same as the old boss!“ empfahl Pete Townshend schon 1971. Zustimmend möchte man sich lieber einen World Wildlife Fund der Rockmusik wünschen: Artenvielfalt, bitte!

Taugt zwar die Deutschsprachigkeit nicht als Kriterium für eine Quotenregelung, so ist die Frage der kulturellen Identität in bezug auf Rockmusik dennoch spannend und wichtig. Der DRMV könnte sich hier Verdienste erwerben, wenn es ihm gelänge – zum Beispiel im Rahmen seiner jährlich veranstalteten „Woche der Popularmusik“ –, einmal ein hochkarätiges Podium zusammenzubringen, um diese Frage zu diskutieren. Dabei sollten sowohl MusikerInnen und UrheberInnen deutsch- und anderssprachiger Zunge zu Wort kommen als auch MusikwissenschaftlerInnen und HistorikerInnen. Es ist nicht einzusehen, diese Debatte ausschließlich den Literaten und Theaterschaffenden dieses Landes zu überlassen. Zu begrüßen wäre auch, wenn die UnterzeichnerInnen der DRMV-Deklaration über ihre bloße Unterschrift hinaus den Mut fänden, sich zum Thema zu äußern. H.R. Kunze gebührt das Verdienst, einen Anfang gemacht zu haben. Etwas weniger martialische Formulierungen („... Flut ... ausländischer Schund ...“) sind willkommen.

Festzuhalten bleibt: Die angestrebte Quotenregelung ist ein Verteilungskampf, kein Kulturkampf – und sollte ehrlicherweise auch als solcher benannt werden. Das Anstreben einer Förderung speziell deutschsprachiger Musik muß als Forderung mit 150 beats per minute schleunigst wieder aus der Deklaration entfernt werden. Als Alternative zur Quote sollte ernsthaft die Forderung einer verstärkten Förderung von in der Bundesrepublik produzierter Rockmusik jeglicher Sprache erwogen werden. Entsprechende Strukturförderprogramme, in Länderverantwortung konzipiert, könnten mit Hilfe der Kulturverwaltungen mit verhältnismäßig geringer zusätzlicher Bürokratie durchgeführt werden und ihre Mittel die Empfänger direkt, ohne den Umweg über die Gema, erreichen.

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