Wilde Dreizehn gegen Papa

Neu-Manager Helmut Schulte soll die Anhänger mit St. Pauli aussöhnen – und heute zum Bundesligastart gar ins Volksparkstadion treiben  ■ Aus Hamburg Clemens Gerlach

Eintracht geht Heinz Weisener über alles. Der Präsident des FC St. Pauli hat es gerne, wenn alle sich verstehen und er in „die zufriedenen und glücklichen Gesichter der Fans“ schauen kann. In diesen Momenten empfindet „Papa Heinz“, wie ihn in am Millerntor alle nennen, tiefe Befriedigung. Dann glaubt der wohlhabende Architekt, der den Verein seit Jahren mit millionenschweren Zuwendungen am Leben erhält, „an die große Familie St. Pauli“. Und daran, daß „hier jeder seine Meinung kundtun kann und es dennoch harmonisch ist“.

Davon kann derzeit keine Rede sein. Das trifft sich schlecht, wo – so Trainer Uli Maslo – „diese Serie noch schwieriger wird als die letzte“. Es kracht gewaltig im idyllischen Biotop, seit Teile der Anhängerschaft – die Arbeitsgemeinschaft interessierter MitgliederInnen (AGiM) – sich öffentlich über den Führungsstil Weiseners und seines Präsidiums mokiert haben: „Es wird nur noch von oben nach unten regiert, früher war das anders.“

Solche Kritik mag der Patron des designierten Zweitligisten gar nicht haben. So etwas findet Weisener (68) „befremdlich“. So etwas macht ihn wütend. „Vor denen muß ich mich nicht rechtfertigen“, drohte der Pater familias gereizt mit Liebesentzug, „die wollen Spaß, ohne etwas dafür zu tun.“ Erzürnt hatte die engagierten Fans der vom Präsidium verkündete Umzug ins Volksparkstadion. Viermal wird der FC St. Pauli in der kommenden Serie in der verhaßten Heimat des ungeliebten HSV spitzenspielen – „aus wirtschaftlichen Gründen“, wie es heißt, „sonst sind wir pleite“.

Diese Entscheidung wollte die AGiM – „wir sehen uns nicht als Opposition, sondern als notwendiges Regulativ“ – nicht ohne weiteres hinnehmen, schließlich hatten Weisener & Co. jahrelang versichert, unter allen Umständen der geliebten Bruchbude Millerntor treu bleiben zu wollen. „Die Begründung erschien uns einfach nicht überzeugend“, kritisiert Holger Scharf, Sprecher der Fan-Initiative, „bei uns herrscht Unverständnis, Wut und Ärger.“ Heraus kam ein Kompromiß, der in der Bundesliga seinesgleichen sucht. Viele mögen ihn als „typisch St. Pauli“, den sympathischen jungen Bundesligaverein von nebenan, wähnen.

Zum ersten Mal bietet ein Klub zwei unterschiedliche Dauerkarten an: Das 17er-Billet für alle Heimspiele und die schmalere 13er-Version, die nur für das Wilhelm-Koch-Stadion gilt. Das Dissidenten-Ticket, für Weisener ein „Dolchstoß gegen St. Pauli“, wurde gut angenommen. Jede fünfte der bislang 12.000 verkauften Dauerkarten, im Stehplatzbereich sogar fast jede vierte, ging auf das Konto der „Wilden 13“.

Heute abend jedoch, wenn St. Pauli gegen Bayern München das Saisoneröffnungsspiel bestreitet, wird das Volksparkstadion trotz aller Turbulenzen gut gefüllt sein. Über 40.000 werden erwartet – doppelt so viele, wie am Millerntor Platz gefunden hätten. Am Ende siegt vermutlich doch bei etlichen die Neugier über die Ideologie – in Form einer Einzelkarte. Boykott light. Außerdem steht nicht nur der erste Auftritt der eigenen Mannschaft an, sondern auch der eines Mannes, von dem viele Fans hoffen, daß mit ihm alles wieder gut wird: Helmut Schulte (38).

Vom neuen Manager, der Ende der 80er als Trainer Liebling der Millerntor-Massen war, werden – à la Rothosen-Heiland Uwe Seeler – wahre Wunderdinge erwartet. Nicht nur soll der „Lange“, der sich einst mit Bananen in die Herzen der Anhänger warf, Verstärkungen herbeizaubern, die nichts kosten, aber alles bringen. Nein, die lockere Ikone („Helmut is' okay, mit dem kanns' du red'n“) soll auch noch für Vater Heinz den Familientherapeuten spielen, der daheim für etwas Frieden sorgt: Schulte, Nachfolger des im Februar entlassenen Jürgen Wähling, wird am ehesten zugetraut, die meuternden Anhänger wieder milder zu stimmen.

Die haben immer noch den Helmut vor Augen, der als ABM- Kraft im Jugendbereich beim FC St. Pauli begann und mit dem sie im Aufstiegsjahr 1988 am Tresen des Klubheims die Nacht durchzechten. Der Kater könnte bei den Nostalgikern nicht schlimmer sein, denn mehr als ein Placebo ist die Beruhigungspille Schulte nicht. Und schon gar nicht ist er der herbeigesehnte Gegenpol zum zuchtmeisterlichen und unnahbaren Trainer Uli Maslo, vom dem das größte St.-Pauli-Fanzine Der Übersteiger einmal behauptete, er würde sich „wie Gott persönlich“ aufführen.

„Wenn die Fans denken, daß es genauso wird wie früher, müssen die zwangsläufig enttäuscht werden“, gab es gleich den ersten Dämpfer von Ex-Subcomandante Helmut, dem pensionierten Spaßguerillero. Weitere Nackenschläge des unwilligen Zeitmaschinisten sollten folgen – no more glory days: Es sei gut, „daß der Trainer autoritär ist“ oder – in Richtung AGiM – „mit jemandem, der gerne absteigen will, kann man nicht diskutieren“.

Die Worte des „damals unverbrauchten Springinsfeld“ gefielen dem Ober-St.-Paulianer Heinz Weisener. Vergessen ist der Zwist, weil dieser Schulte im Februar 1991 eigenhändig von seinem Hof gejagt hatte. Die beiden verstehen sich inzwischen sogar wieder so gut, daß über eine gemeinsame Zukunft nachgedacht wird. Die könnte der den gesetzten Familienvater Schulte, der schon als Trainer in Schalke und Dresden, sowie jüngst beim Zweitligisten VfB Lübeck als Manager gearbeitet hat, wieder auf seinen alten Posten zurückführen.

Es ist ein offenes Geheimnis, daß Schulte Nachfolger von Maslo werden wird, sollte dieser mangels Erfolg entlassen werden müssen. Noch weist der Südfruchtliebhaber Schulte natürlich alle Avancen auf den Job des Kollegen von sich: „Ich bin loyal.“ In kleinerem Kreis jedoch soll sich der einstige Sat.1 - Mitarbeiter weitaus weniger altruistisch gezeigt haben. Er könne sich durchaus vorstellen, Maslo zu beerben. Eine schöne Vorstellung, mag auch Heinz Weisener träumen: Der Tribun wieder in Amt und Würden. Das Volk ist dankbar und murrt nicht mehr. Der König hätte seine Ruhe.