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Archiv-Artikel

Israel als Chiffre für alles Böse

DEUTSCHLAND Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, verurteilt antiisraelische Hasstiraden. Eine „neue Qualität“ sieht er nicht

„Moderate Muslime werden zwischen den Fronten zerrieben“

AIMAN MAZYEK, ZENTRALRAT DER MUSLIME

BERLIN taz | Am morgigen Freitag findet in Berlin die traditionell israelkritische Kundgebung zum Al-Quds-Tag statt. Zeitgleich wird es zwei proisraelische Gegendemonstrationen geben. Ein brisantes Zusammentreffen. In Essen attackierten am vergangenen Freitag antiisraelische Demonstranten eine proisraelische Demo mit Flaschenwürfen.

Schon seit einigen Wochen sorgt die israelische Militäroffensive in Gaza in Deutschland für Anfeindungen gegen Juden. Auf propalästinensischen Demonstrationen wurden vermehrt Sprüche wie „Jude, Jude, feiges Schwein“ skandiert. In Essen, Berlin, Frankfurt und anderen Städten wurde zu Gewalt gegen Juden aufgerufen, es kam zu Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizei. In Berlin wurde ein Ehepaar, bei dem sich der Mann mit Kippa als Jude erkennbar zeigte, laut einem Bericht der Jüdischen Allgemeinen am Rande von Demonstrationen angegriffen. Der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman fühlt sich angesichts der antisemitischen Parolen an die Nazizeit erinnert. „Wo sind wir? Wo hören wir diese Sprechchöre? In Nazideutschland im Jahr 1934?“, schrieb er in der Berliner Zeitung.

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich zu Wort gemeldet: „Das Existenzrecht Israels darf unter keinen Umständen infrage gestellt werden“, betonte de Maizière. In der deutschen Öffentlichkeit dürfe es keinen Raum geben für offenen oder verdeckten Judenhass. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck verurteilten Judenfeindlichkeit.

Die Debatte um einen neuen Antisemitismus wird jedoch vermischt mit einer Integrationsdebatte – denn insbesondere antijüdische Ressentiments unter Muslimen in Deutschland stehen in der Kritik. Medien wie Die Welt und FAZ deuten die Hassparolen als Scheitern des multikulturellen Deutschland und sehen die „Grenzen einer Willkommenskultur“.

Aiman Mazyek, Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, kritisiert antimigrantische Verallgemeinerungen. „Gerade in sozialen Netzwerken werden die Ausschreitungen von extremistischen anitisraelischen Gruppen genutzt, um grundsätzlich gegen die Kultur der Einwanderung Stimmung zu machen“ sagt er der taz. Sichtbar werde „eine grundsätzliche Ablehnung von muslimischen Einwanderern“.

Antisemitische Parolen lehnt Mazyek scharf ab. „Die Hasstiraden, die wir jetzt erleben, haben keine neue Qualität. Leider gab es solche Parolen auch bei den beiden vorangegangen Kriegen“. Um Radikalisierungen zu verhindern, sei es nötig, jene muslimischen Verbände zu unterstützen, die einen moderaten Islam wollen. „Sie sind die beste Prävention, um radikale Muslime auf- und abzufangen“, so Mazyek. Allerdings fürchtet der Chef des Zentralrats der Muslime, dass moderate Gläubige in der Debatte kaum mehr Gehör finden. „Wir moderaten Muslime werden derzeit zwischen den Fronten zerrieben. Die Radikalen feiern hüben wie drüben Urstände.“

Der Soziologe Eberhard Seidel, Geschäftsführer von „Schule ohne Rassismus“, führt antijüdische Ressentiments unter Jugendlichen auf soziale Ursachen zurück. „Palästinensische Jugendliche in Deutschland leiden nicht an Israels Politik, sondern wenn, dann an der Deutschlands. Ihre Familien leben seit 30, 40 Jahren hier, und ihr Frust und ihre Aggression speisen sich eher aus den in Deutschland gemachten Erfahrungen als aus dem Nahostkonflikt“, sagte Seidel der taz. Statt diese zu thematisieren, scheine es einfacher zu sein, „Israel als Chiffre für alles Böse zu nehmen“.

Ali Maarouf, Sprecher des Palästinensischen Bundes Deutschland, sieht der kommenden Al-Quds-Demonstration, die seine Organisation unterstützt, gelassen entgegen: „Wir wollen unseren Konflikt in Gaza nicht in Deutschland aufführen“, sagte Maarouf der taz. „Wir möchten mit friedlichen Mitteln gegen die Gewalt im Gazastreifen demonstrieren. Politisch setzen wir uns im Nahostkonflikt für eine Zweistaatenlösung ein.“ SR, JAK