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Helmut Kohl macht Millionäre

■ Innerhalb von nur drei Jahren hat die Zahl der Einkommensmillionäre nach 1989 um 40 Prozent zugenommen: auf rund 24.000 im Westen und 200 im Osten. Wirtschaftsforscher machen Politik der Bonner Koalition verantwortlich

Bonn (AFP/taz) – Die Schere zwischen den Reichen und den Armen klafft weiter auseinander: Die Zahl der Einkommensmillionäre ist nach einer neuen Untersuchung der Statistischen Landesämter in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. Gleichzeitig melden die Behörden jedoch Rekordzahlen bei den Sozialhilfeempfängern. Auch die unterschiedliche Entwicklung der Einkommen in den sozialen Gruppen, von den Selbständigen bis hin zu den Arbeitslosen, deuten auf eine zunehmend ungleiche Verteilung hin.

Um fast 40 Prozent stieg die Zahl der Einkommensmillionäre zwischen 1989 und 1992, wie gestern mitgeteilt wurde. Dabei waren in den alten Bundesländern – ohne Hamburg – 1992 insgesamt 23.883 Millionäre registriert. In den neuen Ländern – ohne Sachsen-Anhalt – lag die Zahl der Einkommensmillionäre bei nur 207 Bürgern. Einkommensmillionäre sind Menschen mit einem Jahreseinkommen von mindestens einer Million Mark. Die Statistischen Ämter stützen sich dabei auf die Angaben der Finanzämter.

In Berlin und Niedersachsen nahm die Zahl der Einkommensmillionäre überdurchschnittlich zu. Die größte „Millionärsdichte“ machten die Statistiker in Nordrhein-Westfalen und in Bayern aus. In Nordrhein-Westfalen leben 7.300 Einkommensmillionäre. Immerhin elf von ihnen haben es geschafft, durch Abschreibungen keinen Pfennig Einkommensteuer zu bezahlen.

Die „Millionärsschwemme“ der Jahre zuvor setzte sich damit fort. Im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden war bereits im Zeitraum von 1986 bis 1989 ein ähnlicher Millionärsboom registriert worden. Damals waren die Experten noch davon ausgegangen, daß die Kapitalertragsteuer von 1990 der Grund dafür sein könnte, daß die Reichen aus Angst vor Steuerzahlungen einen Teil ihres Vermögens zuvor rasch verkauften und so mit ihrem Jahreseinkommen in den Bereich der Millionäre rutschten. Der neuerliche Zuwachs bei den Reichen erfordert jetzt aber andere Erklärungen.

Der Fachmann für Einkommensverteilung beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, Klaus-Dietrich Bedau, sieht die Politik der Bonner Regierungskoalition als Ursache für die Entwicklung. Er verweist darauf, daß seit Anfang der 80er Jahre die Unternehmereinkommen zunehmend steuerlich entlastet worden seien. Die Einkommen von Arbeitnehmern, Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfängern aber seien weit geringer angestiegen. Auch die Tarifvereinbarungen der vergangenen Jahre nennt er als Ursache für steigende Unternehmergewinne.

Axel Rhein vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hingegen verweist auf die Aufblähung der Einkommen durch die Inflation und darauf, daß eine leichte Zunahme etwa von 980.000 Mark Einkommen auf 1,1 Millionen bereits zum Anstieg der Zahl der Einkommensmillionäre führe. Doch auch die Statistiken des IW weisen nach, daß sich die Einkommen der sozialen Gruppen in den vergangenen Jahren auffällig unterschiedlich entwickelt haben. Während der Haushalt eines westdeutschen Selbständigen (außerhalb der Landwirtschaft) 1980 noch über ein durchschnittliches Einkommen von 7.292 Mark verfügte, konnte er sich 1994 bereits über 16.477 Mark freuen. Bei einem Arbeiter stieg das verfügbare Einkommen im selben Zeitraum aber nur von 3.000 auf 4.447 Mark. Das Einkommen bei Sozialhilfeempfängern stieg von 1.317 Mark auf 2.279 Mark.

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