: War Jesus Jude oder Feminist?
Die feministische Diskussion über Antisemitismus ist immer noch voller Fallstricke. Denn sie braucht den Abschied vom kollektiven Opferstatus ■ Von Erica Fischer
„Aufgrund seiner langen Existenz und seiner vielfältigen Erscheinungsformen kann der Antisemitismus als das Beispiel für soziale Vorurteile, Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung von Minderheiten überhaupt gelten“, heißt es im Parteiprogramm der Feministischen Partei „Die Frauen“. „Antisemitismus und Frauen“ war deshalb das Thema eines Kongresses, mit dem sich die frischgebackene Frauenpartei in Berlin erstmals einer größeren Öffentlichkeit vorstellte. „Wir müssen uns doch fragen, wie es passieren konnte, daß dieses Volk so viel Haß auf sich gezogen hat.“ Diese Bemerkung mußte sich Jutta Oesterle-Schwerin, Gründungsfrau der Partei „Die Frauen“, anhören, als sie ihren Kongreß vorbereitete. Gemeint war natürlich nicht das deutsche Volk, sondern das jüdische.
Frauen sind also vor Antisemitismus nicht gefeit. „Die Beschäftigung mit der eigenen Unterdrückung führt nicht automatisch zur Beschäftigung mit anderen unterdrückten Gruppen“, resümierte Oesterle-Schwerin die Erfahrung vieler Jüdinnen, Migrantinnen und schwarzer Deutscher. Sie selbst, 1962 zum Studium aus Israel in die BRD gereist, weiß um die Verdrängungsleistungen, die ethnische, nationale und religiöse Minderheiten erbringen müssen, um in Deutschland leben zu können. „Das will unsere Partei nicht mehr.“
Der Jahrestag der Novemberprogrome bot sich als Datum an, um zu untersuchen, inwiefern Frauen die antisemitische christlich-abendländische Kultur mittragen oder ihr widerstehen. Diese Frage scheint ältere, vor allem aber junge Frauen umzutreiben. Der große Vortragssaal in Berlin- Kreuzberg war vollbesetzt.
Daß antisemitische Stereotypen auch bei jungen Menschen immer noch so rasch abrufbar sind, erläuterte die Sozialpädagogik-Professorin Birgit Rommelspacher in ihrem Einleitungsvortrag, habe mit der Tabuisierung von Antisemitismus nach 1945 zu tun. Das Tabu komme dem Verdrängungsbedürfnis des Großteils der Deutschen entgegen. Es kann so getan werden, als gäbe es weder Antisemitismus noch Juden.
In Wirklichkeit sieht es aber ganz anders aus. Nach einer Emnid-Studie von 1990 möchten 22 Prozent der Westdeutschen Juden nicht zu Nachbarn haben, 50 Prozent sind der Meinung, vom Holocaust werde zu viel gesprochen, 40 Prozent glauben, die Juden würden den Holocaust für ihre eigenen Zwecke ausbeuten.
Die psychischen Folgen des Schweigens in der Familie
Was Feministinnen beschäftigen sollte, ist der sekundäre Antisemitismus, also der Wunsch, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu vergessen und sich auch all der damit verbundenen Gefühle zu entledigen. „Es gibt ja gar keine Juden in Deutschland“, „Ich weiß nichts über Antisemitismus, da müßte man Juden fragen“: Das Ausblenden von Menschengruppen ist Ausdruck einer erwünschten sozialen Hierarchie. In der Rassismus-Forschung spricht man von „Color-blindness“.
Birgit Rommelspachers Studie „Wie sich junge Frauen mit Antisemitismus auseinandersetzen“ * zeigt, daß die antisemitischen Stereotypen auch noch die persönliche Erfahrung überleben. Die Frauen erkannten ihnen persönlich bekannten Jüdinnen und Juden kurzerhand das Judentum ab, weil sie dem Stereotyp nicht entsprachen. Natürlich spielt die persönliche Geschichte bei diesen Mechanismen eine wesentliche Rolle. Weder die alte noch die beiden nachfolgenden Generationen haben in den Familien über die Nazizeit gesprochen. Die Kluft zwischen der Monströsität der begangenen Verbrechen und der Harmlosigkeit der geliebten Großeltern kann nur durch Verdrängen überbrückt werden. „Wieviel wollten wir eigentlich wirklich wissen?“ fragte Rommelspacher.
Genau diese psychischen Folgen des Schweigens in der Familie hat sie untersucht. Um die ältere Generation zu schützen, übernehmen die Jungen die Schuld, wissen aber gar nicht wofür. Daraus entsteht das Gefühl, ungerechtfertigt beschuldigt zu werden. Als Verantwortliche für diese diffusen Schuldgefühle kommen nur Juden und Jüdinnen in Betracht. Ihre Existenz ist Bedrohung. Die Orientierungslosigkeit, die Eltern und Großeltern bei den Jungen hinterlassen haben, bewirkt andererseits, daß sie die Opfer stellvertretend zu moralischen Autoritäten erklären, bei denen man um Absolution bittet. Sie werden aufs Podest gestellt, um danach gestürzt zu werden.
Die erste deutsche Frauenbewegung habe versagt, urteilt Rommelspacher. Namhaften weiblichen Widerstand gegen das NS- Regime habe es nicht gegeben. Lange Zeit hat die feministische Geschichtsschreibung versucht, zu beschwichtigen, den Widerstand in die Privatsphäre zu verlagern, die Frauen zu Opfern des Patriarchats zu erklären. Doch seit einigen Jahren, immerhin, gibt es in der zweiten Frauenbewegung eine Debatte über Frauen als Täterinnen.
Als nächste Referentin der zweitägigen Konferenz ging Leonore Siegele-Wenschkewitz auf die gepflegtere Variante des Antisemitismus ein, den Antijudaismus, seit jeher integraler Bestandteil des Christentums. Sowohl die Frauengeschichtsforschung als auch die feministische Theologie haben die Entstehung des Patriarchats dem Judentum angelastet. Schon seit Ende der 70er Jahre hätten US-amerikanische Feministinnen auf den Antijudaismus in der feministischen Theoriebildung hingewiesen, erinnerte die evangelische Pfarrerin.
Opfergemeinschaft von Juden, Linken und Frauen
Vor dem jüdischen Monotheismus, so die gängige feministische Theologie, hätte es eine Göttinnenverehrung gegeben, die Frauen die Identifikation des Weiblichen mit dem Göttlichen ermöglichte. Diesen Religionen hätten „die Juden“ den Todesstoß versetzt. Das zweite Thema betrifft Jesus persönlich. Er sei der „neue Mann“, der erste Feminist, der Frauen die Legitimation gibt, Frauenbefreiung einzufordern, während das Judentum mit seinem „Alten“, also überholten Testament das Patriarchat schlechthin verkörpert. Jesus, der Jude, wird dabei völlig aus seiner jüdischen Umwelt herausgelöst. Diese Kritik ist allerdings bei einer Reihe christlicher Autorinnen folgenlos geblieben.
Mit einer Mischung aus Aggressivität und einer Verletzbarkeit, die fast schon weh tat, berichtete die Frankfurter Schriftstellerin Esther Dischereit, wie auch in Opferfamilien geschwiegen wird. Nur so ist es zu erklären, daß auch sie lange Jahre nichts dabei fand, als Mitglied der westdeutschen Linken den kollektiven Opferstatus mit den anderen „Staatsfeinden“ zu teilen.
Wie „das Patriarchat“ ermöglicht auch „das Kapital“ keinen Zugang zur Frage der individuellen Mitverantwortung für den Mord an den Juden. So wie die Frauen flugs zu Opfern der Männer wurden, mutierte die breite Masse der Deutschen zum Opfer der Kapitalisten. Auch Esther Dischereit, die Jüdin, nahm in Frankfurt teil am Kampf gegen das „jüdische Spekulantentum“, ohne sich gegen diese Zumutung zu wehren. Und kaum hatte sie begonnen, sich als Jüdin wahrzunehmen und darüber zu sprechen, kam ihr auch schon der Antisemitismus ungeschönt entgegen: „Stimmt, da hätten wir eigentlich drauf kommen müssen. Du hast schon immer ein etwas aseptisches Deutsch gesprochen.“
Die Dresdener Historikerin Nora Goldenbogen berichtete über die östliche Variante der deutschen Verdrängungsgeschichte. Zwar wurde in der zweiten Hälfte der 50er Jahre antisemitische Betätigung in der DDR unter Strafe gestellt, so daß sich die nach den „Säuberungen“ von 1952 und 53 in der DDR gebliebenen Juden in Sicherheit wähnten, doch die antizionistischen Grundpositionen des Staates boten Antisemiten weiterhin Betätigungsfelder. Dennoch dachte Nora Goldenbogen nie daran, aus der jüdischen Gemeinde auszutreten. Die Tatsache, daß ihr Vater, der vor den Nazis in den Westen und nicht in die Sowjetunion geflüchtet war, als unsicherer Kantonist galt und seine Arbeit verlor, wurde in der Familie bis zum Aufbrechen der DDR tabuisiert.
Die Diskussion kreiste vor allem um die Frage, ob das Judentum kritikabel sei, und, weiter gefaßt, ob im Christentum verankerte deutsche Frauen das Recht hätten, sich in andere Kulturen einzumischen. Gerade Jüdinnen vertraten vehement, daß ein Kritikverbot an Juden, Jüdinnen und Israel am wenigsten geeignet sei, Antisemitismus abzubauen und die unterwürfige Verkrampftheit Jüdinnen gegenüber zu überwinden. Die Kritiklosigkeit, mit der man in der DDR mit Juden und Jüdinnen umging, habe sie an ihrer Entwicklung gehindert, sagte die Publizistin Salomea Genin. „Es geht nicht darum, ob wir kritisieren dürfen oder nicht“, brachte es Kongreßorganisatorin Oesterle- Schwerin auf den Punkt, „es geht darum, ob eine mächtige Gruppe die Kritik benutzt, um sich gegenüber einer Minderheit aufzuwerten.“
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