: Normales Procedere
■ DDR-Prozesse: Haftbefehl gegen Krenz und Co.
Der Sachverhalt ist ebenso schlicht wie die Rechtslage. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag dieser Woche steht unanfechtbar fest, daß jene, die Verantwortung für Tötungen an der innerdeutschen Grenze tragen, verurteilt werden können. Das gilt natürlich auch für die Funktionäre des Politbüros der DDR, deren Verfahren vor dem Berliner Landgericht noch läuft. Die Haftbefehle gegen sie sind daher nicht erstaunlich: Sie lagen in der Luft.
Mit DDR-Hatz, wie die PDS es nahelegt, hat das nichts zu tun. Man mag zwar der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entgegentreten wollen und eine nachträgliche Strafbarkeit für ein Verhalten, das in der DDR nicht strafbar war, kritisieren. Die Konsequenz allerdings, die nun die Gerichte und Staatsanwaltschaften aus dem höchstrichterlichen Spruch ziehen, sind nicht politisch, sondern rechtlich motiviert. Sie haben auch nichts mit einer kollektiven Verurteilung der DDR zu tun. Das ist für viele Bürger des untergegangenen Staates schwer einzusehen. Nach der Ernüchterung über die Folgen der Wiedervereinigung werden die Strafverfahren kritisch aufgenommen. Doch auch wer empfindlich auf Verfahren reagiert, in denen Westler über Ostler richten, kann den Richtern in dem Politbüro-Prozeß keinen Vorwurf machen.
Die haben getan, was sie auch sonst tun und was konsequent aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgt: einen Haftbefehl erlassen, weil „empfindliche Freiheitsstrafen“ erwartet werden. Das blüht auch Angeklagten, die nicht in politischen, sondern in normalen Totschlagsverfahren angeklagt sind. Eine Vorwegnahme eines Schuldspruchs ist das noch nicht.
Die Richter haben vielmehr auch gezeigt, daß sie keine Anti-DDR-Ideologen sind. Sie haben den Vollzug des Haftbefehls sogleich wieder ausgesetzt. Diese Entscheidung ist richtig. Die Angeklagten haben kundgetan, sich dem Verfahren nicht durch Flucht entziehen zu wollen, das Gericht hat ihnen geglaubt. Diese Entscheidung ist vor allem auch deshalb richtig, weil die Verteidiger die Angeklagten bereits am Dienstag darüber informieren konnten, daß nun der Erlaß eines Haftbefehls droht. Die Angeklagten sind nicht geflohen, sondern pünktlich zum Prozeß erschienen. Julia Albrecht
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