: Symbolische Verhaftung von SED-Angeklagten
■ Das Berliner Landgericht spricht Haftbefehle gegen Egon Krenz und drei Mitangeklagte aus, setzt sie aber wieder außer Kraft. Kammergericht muß entscheiden
Berlin (taz) – Kurz verhaftet und wenig später unter Auflagen wieder auf freiem Fuß: Das Berliner Landgericht erließ gestern gegen den ehemaligen DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz und drei weitere SED-Politbüromitglieder Haftbefehle, setzte sie aber sofort außer Vollzug. Auch eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen die Haftverschonung wurde noch am selben Tag zurückgewiesen. Damit muß die nächste Instanz, das Kammergericht, in den nächsten Tagen endgültig über die Beschwerde entscheiden.
Bis dahin bleiben die vier Beschuldigten – neben Krenz der einstige SED-Bezirkschef von Berlin Günter Schabowski sowie Horst Dohlus und Günther Kleiber – vorläufig auf freiem Fuß. Die vier sind der Tötung von DDR-Bürgern an der damals innerdeutschen Grenze angeklagt. Das Gericht hatte die Haftbefehle mit einer angeblichen Fluchtgefahr begründet, zugleich aber erklärt, durch die Einziehung der Pässe und der wöchentlichen polizeilichen Meldepflicht könne dies verhindert werden. Bis auf Schabowski, der in Hessen arbeitet, dürfen die Angeklagten Berlin und Brandenburg nicht verlassen.
Die 27. Große Strafkammer begründete die Haftbefehle mit dem am Dienstag ergangenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Strafbarkeit der Todesschüsse an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze. Darin hatten die Karlsruher Richter festgestellt, daß sich DDR-Befehlsgeber nicht auf DDR-Recht berufen können, sofern dieses in schwerster Weise anerkannte Menschenrechte mißachte. Krenz versicherte gestern, er habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, Deutschland zu verlassen. Sein Verteidiger Robert Unger wertete die Annahme einer Fluchtgefahr als „völlig abwegig“. Schabowski-Anwalt Ferdinand von Schirach erklärte, sein Mandant akzeptiere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, solange noch keine endgültige Klärung vor dem Europäischen Gerichtshof erfolgt sei. Severin Weiland
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