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Der Osten sagt „Danke schön“

Zwei Westler erfanden in Sachsen-Anhalt eine ungewöhnliche Marketingaktion: Freßpakete aus Ostproduktion für die Westverwandtschaft – auf daß sie süchtig nach „made in ost“ werden  ■ Von Gunnar Leue

Berlin (taz) – Schon einmal kam aus Sachsen-Anhalt ein spektakulärer Beitrag zum Thema Förderung der Ostprodukte. 1992 hatte der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Krause, ein ultrakonservativer Tierarzt aus der Altmark, bundesweit für Verwirrung gesorgt, als er seine Landsleute zum totalen Boykott von Westwaren aufrief. Er scheiterte allerdings, denn diese Ostdeutschtümelei war selbst den lokalpatriotischsten Ostlern zu starker Tobak. Auch ohne den provinzlerischen Protektionismus setzte sich die heimische Verpflegungsware in den Nachfolgeläden der VEB-Konsum-Geschäfte durch. So weist die Ernährungsindustrie in Sachsen- Anhalt im Branchenvergleich des Landes den größten Umsatzzuwachs auf. Trotzdem sind die ostdeutschen Fressalienhersteller nicht zufrieden, denn die westdeutschen Konsumenten essen immer noch am liebsten „made in west“.

Also machte man sich bei der Agrarmarketinggesellschaft Sachsen-Anhalt Gedanken, wie die Ostproduktion durch eine Westkonsumption angekurbelt werden könne. Die entsprechende Devise von Hasso Mansfeld, stellvertretender Geschäftsführer lautet: „Nicht jammern und picheln, sondern hammern und sicheln.“

Der optimistisch-klassenkämpferische Unterton deutet an, wohin der Speisezug rollen soll. Nämlich zurück in die Vorwendezeit, in der es in der DDR zwar genug zu Essen gab, aber nicht immer so gute beziehungsweise hübsch verpackte Sachen wie im Westen. Weshalb die lieben Tanten und Onkel ihrer Sippschaft in der Zone Freßpakete schickten. Steuerlich absetzbar! Vor allem zu Weihnachten hatten die Paketzusteller immer viel zu schleppen. Seit jedoch die Ostler ihr Aldi selbst vor der Tür haben, ist dieser Brauch gestorben. Geblieben sind nur die Westverwandten, die Gelbe Post und auch Weihnachten. Was fehlt, ist die Dankbarkeit der Beschenkten von damals.

In Magdeburg hat man dieses Defizit knallhart erkannt und gebannt. Ab sofort heißt es landesweit auf bunten Plakaten und in Funkspots: „Langsam ist es Zeit, sich für die Westpakete von damals zu bedanken.“ Für das Weihnachtsfest wird zurückgeschickt: Hasseröder Bier, Burger Knäckebrot, Hallorenkugeln und mehr. Versehen mit einer Grußkarte: „Das solltest du mal kosten“.

Zu den ersten Empfängern gehören das Berliner Edelkaufhaus KaDeWe und West-Promis wie Übergewichtler Helmut Kohl, Tagesthemen-Gourmet Uli Wickert und Mutter Beimer aus der „Lindenstraße“. Sie kriegen ihre Päckchen vorab, weil sie keine Ostverwandten haben und der Medienrummel um die prominenten Absender – als erster Ministerpräsident Reinhard Höppner – dem heutigen Start der Werbekampagne sehr förderlich ist.

Das Originellste an der Kampagne ist eigentlich weniger der späte Dankesgruß der Ostler, sondern daß diese Idee von zwei Altbundesbürgern stammt. Dem Magdeburger Westimport Hasso Mansfeld schwebte ein Produktmarketing vor, das „irgendwie originell und positiv“ ist und nicht zur larmoyanten Klage über die Benachteiligung der Ostprodukte gerät. Deshalb griff er eifrig den cleveren Einfall mit den Ostpaketen auf, der seinem Bekannten Jan Kesting, einem in Berlin studierenden Westfalen, gekommen war. Da beide früher selbst nie Pakete in den Osten geschickt hatten, sind sie der Danksagung an sie selbst unverdächtig.

Wie sehr die Solidarbeitragszahler im Westen offenbar auf die nette Geste von drüben gewartet haben, beweist die Tatsache, daß auch viele Westler ohne Ostverwandtschaft jetzt ganz wild auf die Ware sind. Paketwünsche erreichen die Magdeburger schon vom Allgäu bis zur Nordseeküste. Eine Logistikagentur nimmt mittlerweile alle Bestellungen auf und packt für 39,80 Mark die Grüße aus dem Osten. Ein Unternehmer aus Schönebeck begeisterte sich für die Aufschwung-Ost-Innovation so sehr, daß er gleich hundert Freßpakete orderte, um sie an seine West- Geschäftskunden zu verschicken.

Unterm Strich also eine tolle Sache, wie der Schutzpatron des guten Geschmacks, Harald Schmidt, wohl sagen würde. Vor allem weil damit eine alte Tradition aufgegriffen wird. Denn früher, zu DDR- Zeiten, holte sich der liebe Westbesuch noch selbst die Ostdelikatessen bei der Verwandtschaft ab. Sich mal ordentlich durchfuttern und billigen Spargel nach Hause mitnehmen, war „damals“ ein beliebtes Reisemotiv. Da seit dem Mauerfall ja nicht mehr so oft besucht wird, ist es doch schön, wenn man den Salzwedler Baumkuchen nun geschickt bekommt.

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