Des Kriegsministers neue Kleider

■ Rußlands Verteidigungsminister Rodionow quittiert den Armeedienst

Moskau (taz) – Moskaus Verteidigungsminister Igor Rodionow wechselt die Kleider. Präsident Jelzin entließ den 60jährigen Militär diese Woche per Dekret aus dem aktiven Dienst der Armee, entband ihn aber nicht von seinem Posten als Chef des Verteidigungsministeriums. Jelzin begründete den Schritt mit der Erfahrung demokratischer Staaten, die gezeigt hätte, „daß ein ziviler Verteidigungsminister die ganze Reihe von Problemen, die mit der Stärkung des staatlichen Verteidigungspotentials und Sicherung aktiver Einsatzbereitschaft von Armee und Marine verbunden sind, erfolgreich gewährleistet“.

Was in den meisten Ländern gang und gäbe ist, stellt in Rußland in der Tat ein Novum dar. Einziger ziviler Minister seit der Oktoberrevolution 1917 war der 1918 ernannte Volkskommissar für Militär und Marine, Leon Trotzki. Armee und Generalstab müssen Jelzins Erlaß als weiteren Angriff auf ihre Interessen verstehen. Bereits am Vortag hatte Premierminister Wiktor Tschernomyrdin angekündigt, der säumige Staat werde bis Ende des Jahres seinen Bediensteten die ausstehenden Löhne zahlen. Die Armee könne indes nicht mit Geldern rechnen. Bisher gelang es dem Militär jedesmal, Versuche, von außen in die innere Struktur einzugreifen, erfolgreich zu parieren. Die russische Armee gleicht einem Staat im Staate. Doch jetzt geht es ihrem Sonderstatus langsam an den Kragen. Wie wenig die Armee ihren Aufgaben gewachsen ist, bewies sie im gescheiterten Tschetschenienfeldzug. Dringende Reformen wären erforderlich, wogegen sich Generalstab und höheres Offizierskorps jedoch sperrten.

Rodionow im bürgerlichen Rock kommt indes einer Scheinlösung gleich. Welches Kleid er sich auch überzieht, er bleibt ein Militär und wird sich an den Kodex seiner Kaste halten müssen, was es ihm erschwert, substantielle Einschnitte vorzunehmen. Dennoch birgt die Entscheidung mehr als nur symbolische Bedeutung. „Die Armee braucht Zeit, sich daran zu gewöhnen, daß sie nun einen „zivilen Militär als Minister hat“, kommentierte der außenpolitische Experte der liberalen Jabloko-Fraktion, Wladimir Lukin. Rodionow soll sich um die Finanzen kümmern, politische Entscheidungen fällen und eine Militärdoktrin erarbeiten, darüber hinaus den inneren Umbau der Streitkräfte in Angriff nehmen. Die rein militärischen Aufgaben, vermuten Experten, gehen auf den Chef des Generalstabs, General Wiktor Samsonow, über, der den Oberbefehl über alle Truppenteile erhält. Klaus-Helge Donath