piwik no script img

E. Henscheid: Auch ich traf Sepp Herberger

Es ist nicht zu leugnen, daß meine Begegnung mit dem damals schon 71jährigen ehemaligen Bundestrainer Sepp Herberger zu Regensburg 1969 zu den bemerkenswerten meines Lebens zählt, zu seinen Lichtmomenten, zu denen nicht eben zahlreichen, in denen das Gefühl für eine gewisse Geschichtsmächtigkeit, ja Jahrhundertdimension sich einstellt. Obschon wir uns inhaltlich nicht ganz einigen konnten. Noch 15 Jahre nach Bern 1954 wollte es mir nicht recht einleuchten, daß und warum der Bundestrainer damals Alfred Pfaff von der Frankfurter Eintracht, meinem Lieblingsverein, zwar zur Weltmeisterschaft in die Schweiz mitgenommen, aber nur einmal, in dem unerheblichen und nämlich pur taktischen ersten Ungarn- Spiel (3:8), eingesetzt hatte. Gut erinnere ich mich aber, daß es auch Herberger bei seinen sehr ernstlichen nachträglichen Erklärungsbemühungen noch immer selber schmerzte. Auch er sei ja ein großer Fan des deutschen „Don Alfredo“ gewesen, seiner Spielmacherfähighkeiten und Freistoßkünste, seiner Torgefährlichkeit. Aber Fritz Walter, der Spielführer und Stammhalblinke, sei eben, so tragisch das sei oder jedenfalls gewesen sei, der noch unentbehrlichere Mann gewesen. Und quasi zweimal Fritz Walter – er selber und Pfaff – sei halt nicht gegangen, das werde ich, der offenbare Experte, doch um Gotteswillen verstehen, setzte Herberger listig und fast dringlich nach, als befänden wir uns in einer Pressekonferenz vor dem 54er-Finale, ja, als wollte ich ihm, Herberger, dafür eineinhalb Jahrzehnte nach dem triumphalen Gewinn des Weltmeistertitels ungerechtfertigterweise noch ans Leder.

Leicht vergrätzt gab ich es zu, und Herberger, daran erinnere ich mich noch genau, schmunzelte befriedigt. 15 Jahre nach der normativen Kraft des Faktischen hatte er da einen letzten zäh Zögernden auch noch argumentativ geschlagen. Vor allem vor dem Hintergrund auch der taktischen Familienbindung Fritz und Ottmar Walter und dessen auf die vertrauten Flanken seines Bruders gestützter Kopfballstärke. Und obgleich, wie gesagt, auch er, der verantwortliche Aufsteller, keinen lieber als Alfred Pfaff in jener Weltmeistermannschaft gesehen hätte – deren Berner definitive Formation zu Herbergers Befriedigung ich selbstverständlich noch alle elf Mann auswendig wußte und hersagte. Und das im Schlaf, und das kann ich bis heute und bis ans Ende meiner Tage.

Auszug aus Eckard Henscheids

Nachwort im Buch:

Lothar Mikos, Harry Nutt: „Als der Ball noch rund war. Sepp Herberger – ein deutsches Fußballerleben“. Campus, Frankfurt/ Main, ca 250 Seiten, 39,80 Mark (erscheint Ende des Monats)

Weitere Herberger-Literatur:

Jürgen Leinemann: „Sepp Herberger. Ein Leben, eine Legende“. Rowohlt Berlin, 320 Seiten, 39,80 Mark

Karl-Heinz Schwarz-Pich: „Der Ball ist rund. Eine Seppl Herberger-Biographie“. Verlag Regionalkultur, 221 Seiten, 29,80 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen