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Rechentricks bei Rente hoch im Kurs

■ Die Vorschläge zur Rentenreform sind widersprüchlich und zeigen: Wer das Rentensystem halten will, muß mit Rechentricks arbeiten. Sollen die Beiträge nicht weiter steigen, muß das Rentenniveau sinken

In der Diskussion um die Rente geht es derzeit zu wie auf einem schillernden Jahrmarkt. Die Rente sei langfristig sicher, verkündet Bundesarbeitsminister Norbert Blüm ebenso regelmäßig wie FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle das Gegenteil. Die jüngsten Meldungen aus der Renten-Reformkommission von Blüm weisen jedoch den Weg, der wohl eingeschlagen werden wird.

Das Rentenniveau, so ein Vorschlag der Kommission, solle abgesenkt werden. Und zwar von derzeit rund 70 Prozent des Nettolohns nach 45 Versicherungsjahren auf nur noch 63 Prozent im Jahre 2030. Andernfalls müßten die Generation der dann 30jährigen im Jahre 2030 schon einen Beitragsatz von 26 Prozent in die Rentenkasse zahlen, zehn Jahre später gar von 28 Prozent. Das ist zuviel: Eine derartige Summe wäre von Arbeitgebern und Beschäftigten nicht mehr aufzubringen. Schon die zu Jahresbeginn erfolgte Erhöhung des Beitragssatzes von 19,2 auf 20,3 Prozent belastet die Unternehmen, die die Hälfte aufbringen müssen, mit zusätzlich rund sieben Milliarden Mark jährlich.

Wie also der Beitragsfalle entgehen, wenn man nicht das derzeitige Rentensystem völlig aushebeln will? Da die von Bündnisgrünen und FDP propagierte Grundrente von der CDU abgeblockt wird, tüfteln die Experten an Notlösungen. Der erste Schritt war der Beschluß der Koalition im vergangenen Jahr, unter anderem das Rentenalter für Frauen und Männer wieder auf 65 Jahre heraufzusetzen. Wer im nächsten Jahrtausend schon mit 60 Jahren in Rente gehen will, dem wird sie um 18 Prozent gekürzt.

Damit ist ein Teil der von der SPD mitgetragenen Reform von 1992 kräftig gestutzt, die noch als großer Durchbruch gefeiert worden war: Der jährliche Zuwachs der Rente orientiert sich seitdem nicht mehr an den Brutto-, sondern an den Nettolöhnen. Der Vorteil lag auf der Hand: Die Rentenauszahlungen folgten nur noch in gedämpfter Form der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung. Doch auch diese Formel scheint mittlerweile für manche Vertreter der Koalition überholt.

Für den Bonner CDU-Rentenexperten Andreas Storm müßte bereits Mitte dieses Jahres die Rentenerhöhung von den Zuwächsen bei den Nettolöhnen abgekoppelt werden, wenn denn das Rentensystem erhalten werden soll. Sein Vorschlag: Statt einer erwarteten Steigerung der Westrenten um 1,7 Prozent sollten diese schon im Sommer nur um 1,3 Prozent steigen.

Derartige Überlegungen werden von der SPD brüsk zurückgewiesen. Mit einer solchen Aufweichung werde letzlich das gesamte System in Frage gestellt, meint etwa der sozialpolitsiche Sprecher der Bundestagsfraktion, Ottmar Schreiner. Denn eine Abkoppelung von den Nettolöhnen wäre letzlich der Einstieg zur allgemeinen Reduzierung des Rentenniveaus. Im Jahre 2030 bekämen Rentner dann nur noch 63 Prozent des Nettolohns nach 45 Versicherungsjahren.

Die Sozialdemokraten befürchten, daß in eingen Jahren der Durchschnittsrentner zum Sozialhilfeempfänger degradiert werden könnte. Von derartigen Horrorvorstellungen ist man noch weit entfernt.

Statt dessen sind Rechentricks in der derzeitigen Debatte um die Altersversorgung hoch im Kurs. In Unionskreisen werden zwei weitere Modelle gehandelt: Ab 1999 – also nach der Bundestagswahl – werden 50 oder gar 70 Prozent der Rente besteuert. Zweitens: Das Rentenalter wird einfach von 65 auf 67 Jahre erhöht. Das wäre die Fortsetzung der 63-Prozent-Debatte mit noch strengeren Auswirkungen. Wer dann mit 60 in Rente gehen würde, müßte mit Abschlägen von rund einem Viertel der Rente rechnen.

Das, meinte Bundesarbeitsminister Norbert Blüm jüngst, sei aber einfach „unzumutbar“. Severin Weiland

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