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Nachhutgefechte in Danzig

Die polnische Regierung hat ein Liquidationsverfahren für die Werft eingeleitet, aber die Solidarność-Führer haben andere Probleme  ■ Von J. Boewe und J.Januszewski

„Also, Lech, hab' ich damals zu Walesa gesagt, unterschreib das nicht. Damit verkaufen wir uns doch. Und genauso ist es gekommen.“ Mit diesen drei Sätzen spricht Jan Zapolnik sein Urteil über die letzten sechzehneinhalb Jahre polnischer Geschichte. Irgendwie ist die Sache dumm gelaufen, und daß er es damals schon geahnt hat, ist eine sehr, sehr schwache Genugtuung.

Der Rentner Jan Zapolnik aus Danzig hat fast das halbe Jahrhundert lang als Schlosser auf der Leninwerft gearbeitet, auch noch ein paar Jahre, als sie schon nicht mehr so hieß.

Daß sie nicht mehr so heißt, geht nicht zuletzt auf Zapolniks Konto, der im Sommer 1980 zum überbetrieblichen Streikkomitee und den Gründern von Solidarność, der ersten unabhängigen Gewerkschaft im Ostblock, gehörte. Und was „der Lech“ damals mit den Vertretern der kommunistischen Gierek-Regierung im Versammlungssaal der Werft unterschrieb, war das „Danziger Abkommen“ über die 21 Forderungen der Solidarność, darunter Gewerkschafts- und Pressefreiheit.

Nach der Verhängung des Kriegsrechts durch General Wojciech Jaruzelski im Dezember 81 wurde Zapolnik interniert und nach einem halben Jahr Lager in eine geschlossene psychiatrische Anstalt eingewiesen. Dort blieb er zwölf Monate. „Das war das Schlimmste, was ich durchgemacht habe. Sie haben versucht, mich fertigzumachen.“ Und fügt listig hinzu: „Aber sie haben gemerkt, daß sie den Zapolnik nicht kaputtkriegen.“ Bloß die Werften hätten sie jetzt fast kaputtgekriegt, fügt er bitter hinzu. Und die Werft ist Zapolniks Leben. Die Postkommunisten von der regierenden „Sozialdemokratie der Republik Polen“ (SdRP), die neoliberale Freiheitsunion und das internationale Finanzkapital haben in Zapolniks Welt eine Verschwörung gegen die Danziger Werftarbeiter angezettelt. Zapolnik winkt ab. Dem alten Aktivisten ist die Welt mittlerweile zu kompliziert geworden.

Jan Zapolnik hat die Streiks der 50er, 60er, 70er und 80er Jahre mitgemacht. Wie sein Budget aussieht, kann man an seinem zerschlissenen Anorak erkennen. Aber wenn nicht ein paar zehntausend solcher Zapolniks Anfang der 80er ihren Kopf hingehalten hätten, würde die Welt heute anders aussehen. Vielleicht wäre Michail Gorbatschow immer noch Sekretär für Agrarfragen im ZK der KPdSU.

„Kommunistenschweine – Hände weg von der Werft!“ Das Transparent der Danziger Werftarbeiter ist deutlich. Aber sie waren ja noch nie dafür bekannt, großen Wert auf die jeweils angesagte Etikette zu legen. Ihr Zorn richtet sich dagegen, daß die Geschäftsleitung im Juni 1996 die Zahlungsunfähigkeit erklären mußte, worauf die Regierung, mit 60 Prozent der Anteile Hauptaktionär, das Liquidationsverfahren einleitete. Daß eine Werft mit immer noch 5.000 Beschäftigten, rückständiger Technologie, zu großer und ineffizienter Verwaltung von der internationalen Strukturkrise im Schiffbau nicht verschont bleibt, ist alles andere als verwunderlich. Aber Stocznia Gdanska ist nicht einfach die Danziger Werft. Stocznia Gdanska ist die legendäre Leninwerft, deren Bilder fast ein Jahrzehnt lang immer wieder um die Welt gingen, die Wiege von Solidarność.

Heute hat die Werft zwar über zwanzig Großaufträge. Diese können allerdings ohne Kredite nicht ausgeführt werden. Und die Banken vergeben keine Kredite ohne Sicherheitsgarantien. Eben diese verweigerte die Regierung aber bislang. Die Werftarbeiter, von denen zwei Drittel in der Solidarność organisiert sind, besetzten das Gebäude der Provinzverwaltung, um gegen die Haltung der Regierung zu protestieren.

Vor dem Büro des Woiwoden, der seit ein paar Monaten von der postkommunistischen SdRP gestellt wird, stehen drei Leibwächter. 300 Werftarbeiter drängen sich in einem Sitzungssaal, die meisten mit Solidarność-Armbinden, qualmen Sobieski-Zigaretten und wollen erst mit uns reden, nachdem wir eine Runde Huj mitgespielt haben, was ein Kartenspiel und für die Polen etwa dasselbe wie Skat für die Deutschen ist.

„Das hat eindeutig politische Gründe“, wettert Jan Rohde, der seit 30 Jahren auf der Werft arbeitet und von Anfang an bei Solidarność dabei war. „Die wollen den Betrieb vor die Hunde gehen lassen, um die Gewerkschaftsorganisation zu zerschlagen.“ Und Andrzej Plaza, der für Solidarność im Protestkomitee der Werftarbeiter sitzt, präzisiert: „Wir verlangen von der Regierung nur, daß sie sich wie ein Eigentümer verhält und versucht, die Werft zu retten. Wir wollen keine Subventionen, sondern eine Bürgschaft für die notwendigen Kredite und ein vernünftiges Sanierungskonzept. Die Regierung dagegen steuert das Unternehmen bewußt in den Konkurs.“

Die Regierung bestreitet das. Sie wirft den Werftarbeitern vor, Privilegien zu verlangen, die andere Staatsbetriebe auch nicht hätten. „In der Marktwirtschaft gibt es harte Regeln“, konstatiert ein Flugblatt der Danziger SdRP lakonisch. „Wer schwach und nicht effektiv ist, hört auf zu existieren.“ „Liquidiert die SdRP“, kontert ein Solidarność-Spruchband, „die hat auch Schulden.“

Die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PZPR) löste sich 1990 formal auf, die SdRP war, juristisch gesehen, eine neugegründete Organisation ohne Rechtsanspruch auf das alte kommunistische Parteivermögen. Die Funktionäre hatten das übersehen, und als man dahinterkam, mußte die Partei Kredite aufnehmen, um wenigstens einen Teil der alten Gebäude zurückzukaufen.

Wird die Werft geschlossen, sind Zehntausende Arbeitsplätze in der gesamten Region gefährdet. Nicht nur Solidarność, auch die kommunistische Gewerkschaft OPZZ beteiligt sich an der Protestaktion. „Das heißt, sie haben einen Delegierten in das gemeinsame Aktionskomitee geschickt“, meint Plaza, „weil sie gar nicht anders konnten. Praktisch unterstützen sie uns nicht, weder mit Geld noch mit Leuten.“ Gestreikt wird nicht, um die desolate Wirtschaftslage des Betriebs nicht noch mehr zu belasten. „Alle, die hier sind“, erklärt Plaza, „haben Nacht- oder Spätschicht.“

Vor der Werft steht ein gigantisches Monument: Drei Kreuze, an denen drei Schiffsanker hängen – zum Gedenken an drei streikende Arbeiter, die die Miliz 1970 erschossen hat. 1980 wurde es errichtet und noch nicht einmal die Militärs wagten es, nach ihrem Putsch das Denkmal zu schleifen. In welchem Ostblockland gab es so etwas, daß eine kommunistische Regierung den von ihrem Sicherheitsapparat ermordeten Arbeitern ein Denkmal errichten mußte? „Sie haben das nicht vergessen“, meint Jan Zapolnik. „Heute rächen sie sich für 1980, wie sie sich auch 1981 mit dem Putsch für 1980 und 1976 gerächt haben.“ Im August 1980 mußten sich die Führer der „Partei der Arbeiterklasse“ in den Versammlungssaal der Danziger Leninwerft bequemen. Heute wird in Warschau verhandelt.

Aber auch Solidarność-Politiker haben keinen unbegrenzten moralischen Kredit. Ex-Präsident Walesa hatte nach seiner Wahlniederlage 1995 medienwirksam angekündigt, wieder an seinen Arbeitsplatz in der Werft zurückkehren zu wollen, was er dann auch tat – allerdings nur für ein paar Minuten vor den Kameras der Fernsehteams und Pressefotografen. Sein Leibwächter, „den er hier bei uns übrigens auch verdammt nötig hat“, erregt sich Zapolnik, würde ja schon ein Vielfaches von dem verdienen, was Walesa in der Werft als Elektriker bekommen hätte, der „Hurensohn“.

Solidarność heute ist nicht mehr dieselbe wie vor 15 Jahren. Von den zehn Millionen des gesellschaftlichen Aufbruchs im Sommer 1980 sind noch anderthalb Millionen Gewerkschaftsmitglieder übrig geblieben. Die kommunistische Gewerkschaft OPZZ, von Jaruzelskis Militärrat nach dem Putsch gegründet, behauptet, zwei- bis dreimal mehr Mitglieder zu haben. Ein großer Teil der polnischen Gesellschaft wandte sich Anfang der 90er von Solidarność ab. Vor allem die Jugendlichen konnten sich in der klerikal-konservativen Linie der Solidarność- Politiker nicht wiederfinden.

Ist Solidarność überhaupt noch eine Gewerkschaft oder eher eine Art christdemokratischer Partei mit übermäßig großem Arbeiteranhang? „Also bis auf den Namen ist eigentlich nicht viel übrig geblieben, was an eine Gewerkschaft erinnert“, meint Rafael Czekala, Soziologiestudent an der Uni Gdansk. Viele junge Leute denken wie er.

Es ist nicht weit von der Werft bis zum Hauptquartier der NSZZ Solidarność. Gewerkschaftsboß Krzaklewski ist in Warschau, um mit dem Vizepremier über die Kreditgarantieen zu verhandeln. Sein Vize Kazimierz Janiak führt derweil den Laden. Im Büro von Janiak ist es schwer, sich vorzustellen, daß die Werft nur ein paar hundert Meter entfernt liegt. Maßanzug von Armani, goldene Krawattennadel, das Handy eine Spur zu demonstrativ auf dem Tisch plaziert. Was denn die Gewerkschaft heutzutage so anstrebe? Janiak hält eine Rede, die er wahrscheinlich schon einmal in einer Fernsehtalkshow gehalten hat.

Im diesem Herbst sind Parlamentswahlen und das Hauptprojekt der Führungsriege von Solidarność ist die Schaffung einer rechten Wahlliste, die die Postkommunisten von der Regierung verdrängen soll. Schön und gut, aber was ist das spezifisch Gewerkschaftliche daran? Herr Janiak versteht die Frage nicht. Er erzählt von 1980, dem Aufstand der polnischen Arbeiterklasse, mit dem er sich von Anfang an identifiziert habe. Solidarność-Mitglied ist Janiak erst nach der erneuten Legalisierung und Aufhebung des Kriegsrechts geworden, und danach ging die Karriere steil aufwärts.

Der damalige Hochschullehrer wurde Vorsitzender des Solidarność-Komitees der Landwirtschaftsakademie in Olsztyn, wurde in die Regionalkommission gewählt, dann Delegierter zum nationalen Gewerkschaftskongreß, kam 1993 in den zentralen Vorstand, 1995 ins Präsidium. 1996 wurde er Vizepräsident. Ob wir, falls wir ihn nach den Wahlen noch einmal interviewen wollten, nach Warschau zum Regierungssitz fahren müßten? Er lächelt vielsagend und beendet das Gespräch. Seine Sekretärin kommt herein. „Herr Janiak, nehmen Sie heute den Mercedes oder das andere Auto?“ Herr Janiak nimmt den Mercedes.

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