: Solvente Besetzer suchen Bauernhof
Ein Schloß, seine Rückgabe und ein glücklicher Ausgang: In Zeesen bei Berlin ermöglicht die Familie Goldschmidt den Besetzern ihres Anwesens einen Neuanfang. Ab 1934 gehörte das Gut Gustaf Gründgens ■ Von Vera Gaserow
„Suchen Bauernhof, auch reparaturbedürftig“, lautete die Anzeige im Immobilienteil der Märkischen Allgemeinen Zeitung. Sie hätte auch anders heißen können: „Schloßbewohner suchen neues Anwesen mit Möglichkeiten für alternativen Jugendklub“ oder „Solvente Hausbesetzer suchen neue Bleibe, Barzahlung garantiert“. Alle drei Varianten hätten der Wahrheit entsprochen, obwohl die Wortkombinationen eher befremdlich klingen: „Schloßbewohner, Hausbesetzer, solvent“. Paßt das zusammen? Es paßt. Wie? Einfach so. Wo? Dort, wo die Wende alle gewohnten Koordinaten durcheinandergewirbelt hat, im Osten Deutschlands, genauer gesagt in Brandenburg.
Der Zufahrtsweg sieht aus wie die Mecklenburger Seenplatte nach dem Frühjahrshochwasser. Die Freitreppe erreicht nur, wer Gerümpel beiseite schiebt und eine schwanzwedelnde Töle namens Anja überlistet. Daß das graue Gemäuer dahinter ein Schloß sein soll, nun ja, man muß es wissen. Es heißt „Schloß Zeesen“, liegt bei Königs-Wusterhausen im Süden Berlins und ist seit gut sechs Jahren besetzt. 20 junge Leute, ost-west gemischt, leben hier, in reichlich fluktuierender Zusammensetzung.
Die bunte Eingangstür steht offen. Einst war sie ein Portal, durch das die Größen des deutschen Theaterlebens zu rauschenden Festen schritten: Heute hat jemand auf die Eisentür zur linken ein „kitchen“ gekritzelt. Dahinter sitzen Ralf, Thomas und Daniel beim Kaffee und einer undefinierbaren Eintopfmasse, die auf einem mächtigen Kohleherd dampft. Die drei sind Schloßherren auf Abruf. Sie gehören zur Kernbelegschaft der Besetzertruppe, die in Zeesen von einem ungewöhnlichen Freiraum profitiert.
Den Freiraum haben mehrere Kapitel deutscher Geschichte geschaffen: die Herrschaft der Nazis, die DDR-Zeit und der Einigungsprozeß. Die Schloßbesetzer sind dabei unversehens in die Rolle des lachenden Dritten geraten, in die gerichtliche Auseinandersetzung um das zweifelhafte Erbe einer Ikone der deutschen Schauspielgeschichte. Das einst stattliche Anwesen war die Sommerresidenz von Gustaf Gründgens. Staatsschauspieler Gründgens feierte große Feste auf dem baumbestandenen Areal mit seinen Tennisplätzen, Reitställen und Bootsanleger. Mit großen Augen sahen die Zeesener Dorfbewohner am Wochenende die blitzenden Autos aus Berlin die Zufahrt zum Schloß langfahren, und wenn der bewunderte Staatsschauspieler Gründgens gut aufgelegt war, lud er die Dorfjugend zur Kirmes ein und zur Kahnfahrt mit Bonbons. Auf ihren prominentesten ehemaligen Bürgen lassen die Zeesener deshalb bis heute nichts kommen.
Gründgens hatte das 1690 begründete Gutsschloß 1934 erworben. Unter zweifelhaften Umständen, wie sich in einem jahrelangen Rechtsstreit herausgestellt hat. Gründgens hat Zeesen damals von der Bankiers- und Mäzenfamilie Goldschmidt gekauft, und die Goldschmidts waren Juden. Sie haben das Schloß, ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung, recht offensichtlich unter politischem Druck, weit unter Preis hergegeben. 58.000 Reichsmark hat der berühmte GG damals für das Anwesen bezahlt, an dem er einen Narren gefressen hatte. Das war gerade mal die Hälfte des festgelegten Einheitswertes. Der niedrige Kaufpreis erklärt sich, wenn man weiß, wen der Sschauspieler damals mit den Kaufverhandlungen beauftragte. Es war ein gewisser Gert Voß, Gruppenführer der SA in Brandenburg. Für die Nachfahren der Goldschmidts steht daher fest, daß Gründgens' vermeintliches „Schnäppchen“ ein klassischer Fall von „Arisierung“ war. Nach der Wiedervereinigung machten sie deshalb Rückgabeansprüche geltend. Doch Gründgens' Adoptivsohn und Erbe, Peter Gründgens-Gorski, bestreitet das. Es habe sich 1934, so sein Anwalt „um einen ganz normalen Kaufvertrag gehandelt“. Noch ist der Streit nicht letztinstanzlich entschieden, bei dem es nicht nur um die Restitutionsansprüche geht, sondern auch um eine Facette der schillernden Persönlichkeit Gründgens'.
Nach allen bisherigen Entscheidungen stehen die Chancen gut, daß die Familie Goldschmidt Schloß Zeesen zurückerhält – mitsamt seiner Schar bunthaariger Besetzer. „Goldschmidt“, sagt Ralf, Schloßbesetzer der ersten Stunde, „das ist für uns wie ein Lotto-Gewinn“. Verkehrte Welt, wo Besetzer über ihren Hausbesitzer schwärmen, doch in Zeesen ist die verkehrte Welt ganz in Ordnung. Im vorigen Jahr kam der über 80jährige Alteigentümer Rudolf Goldschmidt aus Frankfurt zu Besuch. Zwischen buntbemalten Wänden und zersplitterten Fensterscheiben bewirteten die Besetzer ihn mit Kaffee und Kuchen auf Mitropa-Geschirr. Vielleicht hat der alte Herr dabei innerlich geweint über den Verfall des Gebäudes, vielleicht über die Schmuddelschicht auf dem Holzboden oder den leichten Geruch von Hundepisse. Vielleicht auch nicht.
Jedenfalls bedankte Goldschmidt sich herzlich bei Besetzers, daß er noch einmal an den Stätten seiner Kindheit spazierengehen durfte. Und er erzählte den jungen Leuten, die sich anfangs massiv gegen rechtsradikale Überfälle wehren mußten, über das Zeesen, das er zu Beginn der 30er Jahre aus Furcht vor den Nazis verlassen mußte.
Goldschmidt und sein Großneffe möchten das Anwesen mit einem Schätzwert von 20 Millionen wieder übernehmen und restaurieren. Dafür haben sie mit den Besetzern ein Agreement getroffen: Sie bekommen 100.000 Mark für ein Ersatzobjekt, wenn sie im Sommer gehen. Weitere 100.000 würde der Bankier als Kredit zur Verfügung stellen. „Der meint das wirklich ernst, der will uns helfen“, loben die derzeitigen Schloßherren.
Das Angebot ist großzügig und kommt gerade recht. Denn die 20köpfige Truppe hat sich mit dem riesigen Objekt übernommen. Gut vier Millionen Mark würde die dringend nötige Grundsanierung des Schlosses kosten – Geld, das die Besetzer genausowenig haben wie die nötige kollektive Energie. Denn ähnlich wie das Haus ist die bunte Truppe unübersehbar von Verfall bedroht. Das Ungewöhnliche für Besetzer: Sie geben das schonungslos zu und suchen nach einer Lösung.
Fünf, sechs Leute aus der Kernbelegschaft bemühen sich noch, „den Laden zusammenzuhalten“. „Der Rest“, schimpft Ralf, „der asselt sich durch. Die kochen nicht, die kaufen nicht ein, die machen nur ihr Ding, und einige saufen täglich ein erschreckendes Quantum weg. Da hat sich ein ungeheurer Individualismus breit gemacht.“ Der Individualismus treibt manchmal groteske Blüten. Zusammengekommen mit dem Anspruch vom kollektiven Leben, haben sich etliche Besetzer längst ihr höchst privates Refugium geschaffen. Statt im Schloß wohnen sie in Bauwagen auf dem riesigen Areal. Etliche der rollenden Behausungen sind liebevoll eingerichtet wie eine Datsche in der Laubenkolonie, bei der nur noch die Gartenzwerge fehlen. „Die Wagen sind halt unser kleines spießiges Eigenheim“, grinst Thomas mit einem gesunden Schuß Selbstironie, „du machst die Tür auf und bist im Grünen.“
An den Wochenenden sind manchmal noch die (Schloß)-Geister spürbar, die die Besetzer von 1991 riefen: Dann ist Party in den hohen Räumen mit paradiesischem Blick auf den See. Sonntags kommen regelmäßig an die 30 Besucher zum Frühstücksbuffet, und auch jetzt ist das Schloß noch täglich als Zentrum offen für die Jugend aus den Dörfern. Aber die hochfliegenden Pläne – Kulturzentrum, unabhängige Schule, Biobäckerei – all die schönen Ideen, die die Ur-Besetzer einst hatten, sind nach zermürbenden Dauerquerelen zerstoben. Das Riesenareal in schönster Seelage hat mehr und mehr soziale Problemklientel angezogen. Und weil alles kollektiv entschieden wurde, entschied die Mehrheit nie gegen sich selbst. Wer auf dem Besetzerplenum versprach, er würde auch kräftig mitarbeiten, durfte bleiben – und die guten Vorsätze schon am nächsten Tag ungestraft vergessen.
„Die Leistungsträger sind vor drei Jahren abgeschwirrt“, gibt Besetzer Ralf unumwunden zu, „übriggeblieben sind die Schlamper und eine Horde von Individualisten.“ Harte Selbstkritik aus Besetzermund und innerhalb der Truppe nicht unumstritten – aber auch die einzige Chance für einen Neuanfang, den zumindest die Kernmannschaft an anderem Ort versuchen will. „Trotz alledem“ will Schlosser Thomas mitmachen, „denn ich will nicht einfach nur wohnen, sondern auch etwas aufbauen“, und der 21jährige Daniel, gebürtiger Zeesener, sagt: „Ich hab' hier doch nicht durchgehalten und der rechten Szene erfolgreich das Wasser abgegraben, um irgendwo in eine Einzimmerwohnung zu ziehen.“ Und so studieren die Besetzer den Immobilienteil der Zeitung. Für Ralf steht fest: „Wenn wir ein neues Objekt gefunden haben, müssen wir klar auswählen, wer mitziehen darf, sonst geht die Scheiße wieder von vorne los.“
Eine engagierte Maklerin, von den Goldschmidts vermittelt und beauftragt, hilft bei der Suche. Sie ist überzeugt von ihrer ungewöhnlichen Kundschaft: „Das sind vernünftige junge Leute. Die wollen wirklich etwas aufbauen. Deshalb wollen wir sie nicht aus Zeesen verjagen, sondern ihnen eine Perspektive für einen Neuanfang bieten.“ Seit einem Dreivierteljahr reisen Maklerin und Schloßbesetzer durch die Gegend, besichtigen alte DDR-Ferienobjekte und verfallene Bauernhöfe, die für 15 bis 20 Leute in Frage kämen. Bisher jedoch ohne Erfolg, und der Auszug rückt näher. An den vereinbarten Termin – versprochen ist versprochen – wollen sich die Besetzer möglichst halten. Doch wo immer sie bisher bei Gemeindevertretern und Bürgermeistern auftauchten und ihre Pläne vorlegten für ein Wohnprojekt mit angeschlossenem Jugendklub – die Herrschaften winkten erschrocken ab. „Die haben alle Schöner-Wohnen- Ideen für Bonner Beamte im Kopf“, vermutet Ralf. Aber vielleicht findet sich ja jemand, der auf eine ungewöhnliche Anzeige antwortet wie diese: „Solvente Hausbesetzer, handwerklich ausgebildet, suchen Bauernhof in Brandenburg.“ Mögliche Zuschriften gingen immerhin an eine gute Adresse: „An die Besetzer, 15711 Zeesen, im Schloß“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen