: Rätsel um zwei Medizintaschen
■ Im Prozeß gegen Monika Böttcher sagte ihr Exfreund Kevin Pratt: Die Kinder seien vor ihrem Tod betäubt worden
Gießen (taz) – Zwei Medizintaschen spielten gestern eine zentrale Rolle im Wiederaufnahmeverfahren gegen die wegen doppelten Kindermordes angeklagte Monika Böttcher. Ihr ehemaliger Geliebter, der aus den USA als Zeuge eingeflogene Exsoldat Kevin Pratt, sagte vor dem Gießener Landgericht aus, die beiden Kinder Melanie (7) und Karola (5) seien seines Wissens mit Äther oder Chloroform betäubt worden, bevor sie am 4. August 1985 erwürgt wurden.
Solche Mittel aber habe Monika Böttcher in ihren beiden Notkoffern gehabt. Gesehen habe er die aber nicht. Daß diese beiden Behältnisse bisher weder im ersten Verfahren 1986, in dem Böttcher zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, noch in irgendeiner der Akten eine Rolle spielten, ließen ihn daran zweifeln.
Auch die Gerichtsmedizin hatte bei der Obduktion keine Narkosehinweise bemerkt. Immerhin, so die Verteidigung, werde dabei routinemäßig nach Gift und Drogen gesucht. Auch Nachfragen der Staatsanwälte brachte Pratt nicht davon ab, sich sicher zu sein. Genauso hätten es ihm die damals ermittelnden Polizeibeamten erzählt. Diese waren wegen der „sanften Tötungsart“ ohne Kampfspuren davon ausgegangen, daß die Mutter die Täterin gewesen sei. Auf die Frage eines Richters, warum denn die Narkosemittel nirgends erwähnt seien, wußte der Zeuge indes keine Antwort.
Pratt wurde gestern immer wieder eindringlich nach dem Motiv der Angeklagten B. befragt. Im Fuldaer Urteil vom 8. Januar 1988 war davon ausgegangen worden, daß die Kinder ihrer Liebesbeziehung zu dem GI im Wege gestanden hätten. Pratt beteuerte dagegen, daß der einzige Druck, den er auf die Frau ausgeübt habe, der gewesen sei, ihre Scheidung voranzutreiben. Darüber habe es Streit, aber auch eine Versöhnung gegeben, bei der sie endgültig zusammenzubleiben beschlossen hätten. Wo sie gemeinsam leben wollten, hätten sie damals noch nicht entschieden: „Ich wäre gerne auch in Deutschland geblieben.“ Die Kinder seien ihnen nicht im Wege gewesen: „Ich wollte nicht nur sie, ich wollte auch die Kinder.“
Zur Verlesung kamen auch die Protokolle der damals abgehörten Telefonate. Dabei kam es den Richtern auf einen Satz an, bei dem Pratt seiner Freundin gesagt hatte, er könne sie eine Woche lang nicht sehen: „Ich liebe dich, aber die stecken mich in den Knast, weil ich dich sehe. Ich weiß, das ist lange, aber 15 Jahre sind viel länger.“ Diese Äußerung war immer wieder als Anspielung auf das hierzulande zu erwartende Strafmaß von 15 Jahren für Mord interpretiert worden. Pratt sagte gestern, er habe sich dabei auf militärinterne Strafen für Dienstvergehen bezogen, mit denen ihm gedroht wurde, wenn er sich weiter mit seiner Geliebten treffe.
Er habe nach dem Tod der Kinder aus einem Gefühl der Mitschuld heraus viel getrunken: „Ich fand, sie wurden getötet, weil jemand sehr eifersüchtig auf Monika war. Und weil die Kinder mich geliebt haben wie einen Vater.“ Reinhard Weimar nannte er namentlich direkt nicht. Er beendete die Beziehung, nachdem er erfahren hatte, daß Monika Böttcher drei Wochen nach dem Tod der Kinder ihren Mann beschuldigte, und so herauskam, von Anfang an gewußt zu haben, daß die Mädchen tot sind. „Sie hat es weder mir noch sonst einem gesagt.“ Heide Platen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen