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In Ostzaire erfindet Frankreich den Völkermord

■ Berichte über Massaker der Rebellen provozieren Interventionsgelüste in Paris

Berlin (taz) – Mit ungewöhnlichen Mitteln wird derzeit in Frankreich versucht, gegen die zairische Rebellenbewegung „Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Ex-Zaire“ (AFDL) Stimmung zu machen. Die Pariser Tageszeitung Libération dokumentierte am Montag ausführlich einen anonymen Bericht, in dem von Massenmorden der AFDL-Truppen an Zivilisten in den von ihnen kontrollierten Gebieten die Rede ist. Hauptopfer seien die ruandischen Hutu, die 1994 nach dem von Hutu-Extremisten in Ruanda verübten Völkermord nach Zaire geflohen waren und im November 1996 von der AFDL aus ihren Lagern im Osten Zaires vertrieben wurden.

Das Dokument wurde laut Libération auch dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt. Dort versuchte die französische Diplomatie daraufhin, die UNO zu einer militärischen Intervention zu bewegen, um die letzten ruandischen Hutu in dem von Zaires Regierung kontrollierten Gebiet um Kisangani zu schützen. Trotz der Zustimmung von UN-Generalsekretär Kofi Annan scheiterte der Vorstoß am Widerstand der USA. Frankreich drängt nun auf EU-Ebene auf die Einrichtung einer Luftbrücke zur Versorgung der Hutu-Flüchtlinge südlich von Kisangani. Willkommener Nebeneffekt wäre die Etablierung einer Militärpräsenz in Kisangani zur Unterstützung der bedrängten zairischen Armee.

Während der von Libération veröffentliche Bericht, den in Auszügen einen Tag später auch die FAZ übernahm, für Aufregung sorgt, bleiben wichtige Hintergründe im dunkeln. Autor des Berichts ist nach Informationen der taz ein Franzose, der in katholischen Kirchenkreisen sowohl in Ruanda als auch in Zaire gearbeitet hat. Der von Libération veröffentliche Bericht ist die überarbeitete Version eines bereits im Januar erstellten Dokuments, das die taz in Goma einsehen konnte und das deutliche ideologische Voreingenommenheit an den Tag legt. Die Rebellion im Osten Zaires wird darin als Tutsi-Invasion dargestellt; die AFDL habe „eine sehr harte und grausame Diktatur“ errichtet, und insgesamt seien „über 500.000 Flüchtlinge“ gestorben.

Kein einziger Gesprächspartner der taz in Goma, unter denen sich auch Kritiker der AFDL befanden, hat diese Behauptungen auch nur im entferntesten bestätigt. Daß es bei der Einnahme der von schwerbewaffneten Milizen verteidigten ruandischen Lager durch die AFDL viele Kriegstote gab, wird nicht bestritten. Das UNHCR spricht von 5.300 identifizierten Leichen. Menschenrechtsgruppen nennen Dörfer, in denen es Dutzende Tote gab, weisen aber darauf hin, daß alle bewaffneten Gruppen in der Provinz Nord- Kivu um Goma für Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich seien. Noch kämpfen dort ruandische Hutu-Milizen und diverse Stammesbünde gegen die AFDL. Der Begriff „Völkermord“, den jüngst ein belgischer Minister im Zusammenhang mit diesen Ereignissen gebrauchte, entbehrt nach einhelliger Meinung aller Gesprächspartner jeder Grundlage. Einige der Einzelbehauptungen des Berichts sind nachprüfbar falsch, zum Beispiel wenn von „durchdringendem Leichengeruch“ an der Hauptstraße von Goma nach Norden zwischen Kibumba und Rutshuru die Rede ist.

„Frankreich versucht, eine Diskussion über eine Situation in Gang zu setzen, die nicht existiert“, sagte zu den Vorwürfen bereits der niederländische Entwicklungsminister Jan Pronk. UNHCR-Feldkoordinator Filippo Grandi in Goma sagt, es gebe „keinen einzigen Beweis für organisierte Massaker“. Amnesty international sieht sich ebenfalls „nicht in der Lage, die Vorwürfe zu bestätigen“. Der Bischof von Goma, Faustin Ngabu, hat den Bericht als „unehrlich und unverantwortlich“ kritisiert. Die AFDL drängt – bisher vergeblich – auf die Entsendung einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission, um die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu prüfen. Dominic Johnson

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