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Geheimnisse des I Djing

Der Discjockey als moderner Illuminat: Rainald Goetz und Westbam haben gemeinsam ein Buch gemacht  ■ Von Thomas Groß

In Ausgabe 9/94 des verblichenen Magazins Tempo ist ein Bild von Rainald Goetz zu sehen, wie er Sven Väths Plattenkiste trägt: der Autor im Dienste des Zeremonienmeisters, letzterer im zugehörigen Text beschrieben als „Glücksgenerator“, der den Leuten die Party bringt. In „Mix, Cuts & Scratches“ ist Goetz ein ähnlich dienendes Verhältnis zu einem DJ eingegangen. Nicht „von“, mit Rainald Goetz steht unter dem Titel des Merve-Bandes, darüber groß der Name des Gefeatureten: Westbam, früher Westfalia Bambaataa, noch früher Maximilian Lenz, 1965 in Münster geboren, seit Anfang der Achtziger in Berlin aktiv, Pionier der Plattenaufleg- und Mischkunst, Betreiber des Labels Low Spirit und Miterfinder der Love Parade.

Der Band ist das Ergebnis eines Arrangements, dem ein Gespräch vorausgegangen ist, eine Begegnung in einem Hotel namens „Phoenix“ in San Francisco, wo man sich in schattigen Korbsesseln gegenübersaß. Das Band, unverzichtbarer Bestandteil des Settings, läuft, „draußen brennt die Junisonne des Jahres 1995 auf den Swimmingpool im Innenhof, Windstille, Mittag, so eine pastellbunte Hockney-Szenerie, und der Geistesmensch Maximilian Westbam erzählt mit über dem Kopf verschränkten Armen gutgelaunt aus den Tagen der Frühe“. Das Abkommen, mit dem man auseinandergeht, lautet: Alles, was an der Situation „live“ ist, gesprochener fixierter Austausch, unterwirft sich der Compilation in der Schrift. Aus mehreren hundert Seiten Exzerpten stellt Rainald Goetz ein Geschichten- und Gedankenbuch zusammen, versieht es mit Zwischentiteln und (spärlichen) Kommentaren, „bis der Sound stimmt, das Erzählen und Argumentieren auch schriftlich richtig klingt“.

Westbam, wie er in diesem Edit erscheint, ist ein guter Erzähler. Als weitgereister Mann und organischer Intellektueller weiß er um die Unterschiede der Partyszenen in San Francisco und Saarbrücken (gar nicht so groß), die Lustigen, die Kaputten, die Bemühten; die „verrückten Holländer“, „ehrlichen Belgier“ und „allerwahnsinnigsten“ Spanier – die ganze Raving Society, die Westbam bei aller Sympathie überraschend nüchtern sieht. Als „Geistesmensch“ kennt er gute und schlechte Plattenhändler, „Ecstasy-Spießer“, Sinnsucher und Veranstalter, die dem DJ-Fürsten aus der Hauptstadt den roten Teppich ausrollen wollen, endlos ängstlich besorgt um die „richtigen Leute“ auf der Tanzfläche, die immer später kommen und dann doch nicht kommen, während die eigentliche Party längst wieder woanders spielt. Womöglich in Mannheim.

Sehr im Vorübergehen und eben laid back wird auch ein Bild jener Entwicklungen entworfen, die den Aufstieg der populären elektronischen Musik begleitet haben: den Abschied vom Song zugunsten des Tracks; die Ablösung des Live-Konzerts mit den daran klebenden Vorstellungen organischer, handgemachter Klänge („Ohne Filter“ – heute noch ein Sendetitel bei den Öffentlich- Rechtlichen) durch die Spontanmontage im Mix; das Ende des traditionellen Underground durch die massenhafte Folklorisierung des Modells Techno zu „elektronischer Volksmusik“.

Westbam redet über diese Umwälzungen anekdotisch, der unmittelbare Adressat ist eben das Ohr, weniger das lesende Auge. Selten einmal wird der Ton olympisch, erstarrt zur Sentenz im Sinne von, sagen wir, Goethe oder La Rochefoucauld („Es ist eine Dummheit, Dummheit zu thematisieren“), eher schon schlägt er sich ins Gebüsch und taucht an unvermuteter Stelle wieder auf. „Der DJ muß zum gewissen Punkt ein schwacher Mensch sein“, heißt es auf Seite 109. Unter dem Stichwort „Helmut Kohl“ dagegen steht geschrieben: „Laut Handleserin habe ich eine ganz ähnliche Handinnenfläche. Also meine Karriere wird genauso enden. Mit anderen Worten: Es sieht gut für mich aus.“ Mit respektabler Souveränität setzt der Erzähler sich über die mögliche Mißverständlichkeit solcher Statements hinweg. Weil es ja primär um die Verfertigung des Gedankens beim Sprechen geht, eine oral history der Berliner Techno-Internationale aus subjektiver, beteiligter Sicht.

Eine Umdrehung tiefer handelt „Mix, Cuts & Scratches“ aber auch vom Geheimwissen des DJs als einem modernen Illuminaten. Westbam benennt die verschiedenen Stufen des „Djing“, wie der Job des DJs in der Schreibweise ein wenig fernöstlich lautet. Sie führen vom simplen Plattenauflegen, in dem es noch um Geschmacksbeweise im Sinne der erstrebten Coolness kapitalisierbaren Wissens geht, über die schon fortgeschrittenere Fähigkeit, Körper im Beat zu synchronisieren, bis ans Ende der Leiter, wo aus dem Party-Diktator der Weise tritt. Die höchste, die Großmeisterstufe ist erreicht, „wenn dann tatsächlich der Widerspruch zwischen den Leuten fällt. Und wenn sich die Frage nicht mehr stellt, wer erfüllt jetzt wessen Willen, sondern wenn diese Frage aufgehört hat zu existieren. Und alles tatsächlich in einen neuen Fluß gerät, aus dem sich alles logisch ergibt, für die Leute und für den DJ.“

Das nun aber ist nicht nur die höchste Form des erleuchteten „Djing“, als ganz großes Bum Bum Bum ist es zugleich der innerste Ring der Kraft, aus dem heraus Rainald Goetz als Arrangeur und Kommentator Westbamschen Wissens Politik macht. Gegen „die Kulturreaktionäre in der sogenannten taz“, gegen studentoide Klangbastler, klassische Avantgardisten, Bloß-Musiker, nach innen abdriftende Goa-Mystiker, FAZ- Feuilletonisten und andere echte oder eingebildete Feinde der Party verficht er mit großer Dringlichkeit das Prinzip einer Abfahrt, die das Beste beider Welten für sich reklamiert: von der Avantgarde das Aufbrechen der Tonalität zugunsten des Geräuschs, vom Pop den Willen zum Hit, zur glücklichen Stumpfheit under a groove. Ohne Zweifel ein Stück Poptheologie: Goetz sieht in Techno als Sound und Bewegung eine exoterische Wendung ehemals esoterischer Körpererleuchtungserfahrungen, einen „umfassenden musikalischen Selbst- und Neuerfindungsfundamentalismus“. Das ist die Technik des Glücks im Zeitalter seiner akustischen Induzierbarkeit. Und der Garant dafür heißt Westbam.

Dieses sozusagen Grundsätzliche wird im Intro des Bandes verhandelt, und es wundert kein Stück, daß Goetz dabei weit weniger gelassen wirkt als Westbam, verfügt dieser doch über etwas, das jener in seinem Medium nur simulieren kann. Nicht zu übersehen ist ja, daß „Mix, Cuts & Scratches“ selbst nach musikalischen Prinzipien, genauer: Techno-Techniken arrangiert ist. DJ Goetz (re)mixt Westbam, so wie dieser als DJ Samples benutzt. Das Diktat der auktorialen Erzählung ist gebrochen durch eine Mimetik des Sounds. Doch wo Westbam in der Party über echte Körper gebietet, bleibt der Text letztlich eben doch Text, etwas Unsinnliches und Abstraktes. Immer wieder neu muß er seinem mächtigen Gegenüber das Geheimnis ablauschen: „Ja, genau: die Heilsbotschaft“, zu deren Erhörung Intellektuelle wieder werden müssen wie die Kinder; und auch dann noch gehandicapt sind, denn „man kann das denkend nie so ganz verstehen, das Große dieses Glückseffekts des einfach nur geraden Beats“.

Deshalb zieht Goetz, der in einem anderen Leben einmal ein wüster Negator der verwalteten Welt war, seit er Techno kennengelernt hat mit dem DJ-Troß mit – Diener eben eher als Analytiker. Gleich geblieben ist das Verlangen nach einer Kunst, die messianisch und intermedial über sich selbst hinaus will. Die letzte Publikation hieß „Word“ und war eine Techno-CD, die kommende heißt „Rave“ und ist eine Erzählung. Es hat etwas von einem Wunsch- Selbstporträt, wenn er in Tempo 9/94 über Sven Väth schreibt: „Er sah sich auf Mission; von sehr weit hergekommen, aus den Tiefen ferner Märchen, Mythen und Geschichten; im Dienst der jeweils kommenden, neuesten Nacht. Sein Auftrag hieß: Musik und Tanz, Ekstase, Abfahrt, Rausch. Er kannte Dämonen und beherrschte sein Handwerk ... Und in glücklichen Momenten wollte jede nur erdenkliche Göttin der Glückseligkeit an seiner Seite stehen, um durch ihn durch sich lächelnd zu verschenken.“

Ob das nun Romantik 2000 ist oder doch nur Krampf, ist diskursiv nicht lösbar, weil der Text in seinem Innersten mit etwas Nichtdiskursivem argumentiert – dem Beat. Er stellt vor die Alternative: Fühl es oder fühl es nicht, drinnen oder draußen, Keks oder Schokolade. Rainald Goetz hat sich nun einmal für diese ironiefreie, eudämonische, von der Bass-Box inspirierte Erzählung der Technogeschichte und ihrer Erlösergestalten entschieden. Ein Drittes wird nicht es gegeben.

Westbam: „Mix, Cuts & Scratches“. Mit Rainald Goetz. Merve Verlag. 159 Seiten, 19DM

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