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Das Penicillin der Seele

Zwei neue Bücher über Ecstasy, als Beipackzettel und als Aufsatzsammlung  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Merkwürdig, wie sehr sich in Berichten über Drogenerfahrungen eine Figur wiederholt: Ob Haschisch, LSD, Opium oder Ecstasy – schreibende Konsumenten berichteten von Unio-Mystica- Erlebnissen, vom Verschmelzen mit Weltall, Erde, Mensch und tollen Synästhesien. Und doch scheint jeder zu wissen, daß letztlich der Alltag gewinnt, in den die meisten – beschädigt oder nicht – nach zwei oder drei Jahren zurückkehren. Inzwischen werden derlei säkulare Initiationen nicht mehr nur von einer Minderheit durchgemacht. Hasch ist Volksdroge, Psychedelika wie LSD oder Zauberpilze erleben eine Renaissance. Hauptursache für den derzeitigen Drogenboom ist jedoch Ecstasy, vermutlich weil es in seiner Wirkung zwischen Medikament und Droge liegt, zwischen appetitzügelndem, leistungssteigerndem Antidepressivum und einem Halluzinogen, das nicht so kompliziert wirkt wie LSD.

1897 wurde MDMA, der bekannteste Ecstasywirkstoff, zum erstenmal synthetisiert, 1912 ließ es die deutsche Chemiefirma Merck patentieren. Mitte der 70er von dem amerikanischen Biochemiker Alexander Shulgin neu entdeckt (als „Penicillin für die Seele“), wurde es bald darauf in kleineren Konsumentenkreisen mehrgleisig verwandt – sowohl in psychotherapeutischen als auch in hedonistischen oder esoterischen (Bhagwan) Zusammenhängen, wurde 1985 in den USA per Notverordnung in die strengste Kategorie aller erfaßten Drogen eingeordnet, bevor es schließlich über England wiederkehrte. In „,E‘ for Ecstasy“ (1993) feierte der Althippie Nicholas Saunders die kollektivverliebte Stimmung, die bei Technoparties befördert werde.

Doch der Honeymoon mit Ecstasy scheint vorbei. Der Konsumismus, der mittlerweile auch in Sachen Partydrogen vorherrscht, hat zu den üblichen Problemen geführt, die auch die nicht mehr ignorieren können, die Ecstasy vor ein paar Jahren noch enthusiastisch begrüßt hatten.

Während der Schweizer Journalist Patrick Walder – der „,E‘ for Ecstasy“ damals für den deutschen Sprachraum herausgegeben hatte – in seiner Koproduktion mit Günter Amendt pragmatisch argumentiert, glauben die AktivistInnen von „eve & rave“, einer szenenahen Initiative, noch an die Möglichkeit eines bewußteren, am besten durch Rituale abgesicherten Umgangs mit der verleumdeten Droge.

In ihren Positionen unterscheiden sich die Bücher kaum. Beide konstatieren das Versagen der offiziellen Verbotspolitik, die vor allem das Risiko der Konsumenten vergrößere. Beide treten für die in einigen Bundesländern geduldeten, in anderen geächteten Drogentests ein und fordern eine Liberalisierung. Denn die „Ursache für den Mißbrauch ist vor allem das fehlende Wissen der Konsumentinnen und Konsumenten über Wirkung, Eigenarten und Risiken von Drogen“.

Während sich das einheitlichere „Ecstasy & Co“ von Walder/ Amendt als „eine Art Beipackzettel für Partydrogen“ versteht, wendet sich „Ecstasy – Design für die Seele“ an alle Drogeninteressierten. Juristen, Soziologen, Kriminologen, Ärzte, die Landesdrogenbeauftragten von Bremen und Hamburg, Alexander Shulgin, schamanistisch gesinnte DJs und Designerdrogenproduzenten sind in dem Sammelband vertreten.

Neben Texten, die warnen, selbst eine einzige Ecstasypille könne zum Tode führen, findet man auch ein „Plädoyer für einen hochinformierten Drogengebrauch“, in dem der Dealer als verantwortungsvoller „Übermittler kultureller Traditionen“ gefeiert wird. Das ist eher eine Wunschvorstellung, denn auch der freundliche Dealer weiß meist nicht so genau, was er da verkauft.

Andererseits kann man schlecht für eine Liberalisierung der Drogenpolitik eintreten und gleichzeitig alle Dealer verdammen. Ob „unsere gesellschaftliche Realität“ tatsächlich „wesentlich düsterer“ aussehen würde, wenn „nicht so viele Menschen (...) solche wichtigen, außergewöhnlichen Erfahrungen“ mit LSD und MDMA gemacht hätten, wie der Schweizer Psychotherapeut Peter Hess findet, sei dahingestellt. Das Gegenteil läßt sich auch nicht beweisen.

Einen kurzfristigen Drogenkater gibt es zwar fast immer, doch „im Unterschied zur Droge Alkohol, wo die Schädlichkeit für das Hirn bewiesen ist, liegen im Falle von Ecstasy keine eindeutigen Belege vor“ (Walder/Amendt). Blöd nur, daß nicht so ganz klar ist, was man mit Ecstasy überhaupt meint. Die emphatischen Berichte über die Wirkung der Droge und die meisten Forschungen beziehen sich auf den bekanntesten Ecstasywirkstoff MDMA, der sich jedoch auf dem Schwarzmarkt in bestenfalls einem Drittel der gehandelten Pillen findet.

Die anderen als Ecstasy gehandelten Stoffe – MDE, MDA, MBDB, Speed, Koffein, aber auch Placebos – unterscheiden sich sowohl in ihrer Wirkung als auch in ihrer Verträglichkeit, wobei nicht nur unerwartet starke Pillen, sondern auch schwächer wirkende Substanzen unschöne Folgen haben können: Konsumenten, die statt des gewünschten MDMA etwa das verbreitetere, schwächere MDE geschluckt haben, neigen oft zum „Nachwerfen“ von mehr Pillen und vor allem von Speed, der „unterschätzten Droge schlechthin“ (Walder/Amendt). Szenebeobachter meinen, Speed sei dabei, Ecstasy als Chemiedroge Nummer eins abzulösen. Als reine Leistungsdroge verbindet es sich erst mal prima mit der herrschenden Ideologie und macht auch keine komischen Gedanken und Gefühle.

„Drogen machen Spaß, und Drogen sind gefährlich“, schreiben Walder und Amendt. Eine Drogenpolitik, der es vor allem darum geht, möglichst drastisch Beispiele für die Schädlichkeit einer bestimmten Droge zu finden, erreicht das Gegenteil dessen, was sie vorgibt zu wollen. Das BKA etwa gibt für 1995 18 Ecstasytote an (elf Selbstmorde, fünf Fälle von Überdosierung, zwei Verkehrstote). Die Berliner Initiative „eve & rave“ hat die Todesursachen anhand von Obduktionsberichten, toxikologischen Gutachten usw. nachrecherchiert. Nur in einem dieser Fälle handelte es sich demnach um ausschließlichen Ecstasy- Konsum. Todesursache war vermutlich ein Zusammenwirken mit chronischer Herzschwäche und körperlicher Anstrengung.

Patrick Walder/Günter Amendt: „Ecstasy & Co – Alles über Partydrogen“. rororo, Reinbek 1997, 12,90 DM

Jürgen Neumayer/Henning Schmidt-Semisch: „Ecstasy – Design für die Seele?“ Lambertus Verlag, Freiburg 1997, 40 DM

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