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Im Baustreik können alle nur verlieren

■ "Der Mittelstand wird immer weiter schrumpfen", und "die Zeche zahlen die Arbeiter", meint Dietmar Raschmann, Geschäftsführer eines Baubetriebs. Ein Blick hinter die Kulissen des Baustreiks

Die zweite Woche im ersten Baustreik seit über zehn Jahren geht zu Ende, und es bewegt sich wenig. Die Bauarbeiter sehen ihre Existenzgrundlage gefährdet, wenn die Forderungen der Fachgemeinschaft durchkommen; die kleinen und mittelständischen Baufirmen der Fachgemeinschaft sind nach eigenen Angaben kaum mehr überlebensfähig, wenn man den Bundesrahmentarifvertrag und den westdeutschen Schlichterspruch anerkennen müßte.

Unterdessen bröckelt die Streikfront der Arbeitgeber: Gestern haben sieben Berliner und eine Potsdamer Baufirma Haustarifverträge mit der IG BAU abgeschlossen und erklärt, daß sie spätestens zum 1. Januar einem Arbeitgeberverband beitreten werden, der die Flächentarifverträge der Gewerkschaft anerkennt. Doch wie sieht es hinter den Kulissen aus?

Die Firma Bail Bauunternehmungen GmbH, vorrangig im Sanierungsbereich tätig, ist mit 105 Beschäftigten einer der betroffenen mittelständischen Betriebe. Als Mitglied der Fachgemeinschaft war sie eine der Firmen, die schon am ersten Tag bestreikt wurden und deshalb bereits zwei Aufträge zurückgeben mußte.

Bis vor dem Ausstand konnte sich der Betrieb aus Reinickendorf – im Gegensatz zu anderen Firmen, wo teilweise schon Kurzarbeit geleistet wird – noch über Wasser halten. Grund dafür ist aber nur, daß die Geschäftsführung hier schon vor einigen Jahren die kommenden Entwicklungen vorausgesehen, dementsprechend geplant und zielgerichtet investiert hat, so Geschäftsführer Dietmar Raschmann. Am Mittwoch ist der Betrieb aus der Fachgemeinschaft Bau ausgetreten und wird seitdem nicht mehr bestreikt. „Wenn wir jetzt noch ein paar Wochen bestreikt werden, weiß ich, daß wir zumachen können, also haben wir das kleinere Übel gewählt“, erklärt Raschmann den Schritt, den er vorrangig für die Kunden getan habe.

Trotz des Austritts steht der Geschäftsführer aber hinter den Forderungen der Fachgemeinschaft. Diese seien „rein betriebswirtschaftlich das einzig richtige, auch wenn sie nicht durchsetzbar sind“. Raschmann zeichnet eine schwarze Zukunft für den Mittelstand im Baugewerbe: die Preise gehen runter, die Kosten explodieren und im Gegensatz zu den Unternehmen der Bauindustrie wird der Mittelstand immer weniger konkurrenzfähig, „ein Tod auf Zeit“.

Gingen 1992 nach Angaben Raschmanns noch 2.000 Baubetriebe bundesweit pleite, mußten im vergangenen Jahr schon 7.000 Firmen den Gang zum Konkursverwalter antreten. „Der Mittelstand wird immer weiter schrumpfen, irgendwann wird es nur noch die ganz kleinen und die großen geben“, meint Raschmann. Dann sieht er den sozialen Frieden in Gefahr. Schließlich trügen die kleinen und mittelständischen Unternehmen die soziale Last, da sie vorrangig eigene Leute beschäftigen. Die Industrie könne erheblich billiger und flexibler anbieten, „da sie fast ausschließlich mit ausländischen Nachunternehmern arbeitet“, klagt er.

Aber für Raschmann sind nicht vorrangig die Betriebe die Verlierer der Entwicklung. Er meint, daß in jedem Fall die gewerblichen Arbeitnehmer „die Zeche zahlen werden“. Über kurz oder lang wird es zunehmend zu Kurzarbeit und auch zu Entlassungen kommen, prophezeit er und fragt „Wer hilft den Arbeitnehmern dann?“. Ihm ist unverständlich, wieso diese in einer derartigen Situation nicht „nüchtern ihren Verstand gebrauchen“ und ein Stück von ihren Ansprüchen abrücken, schließlich wolle er nicht weniger, aber auch nicht mehr Lohn bezahlen.

Bauarbeiter Uli Patte, 33 Jahre alt und seit 15 Jahren auf dem Bau, könnte ihm das vielleicht erklären. Er sieht weniger die gesamtwirtschaftliche und die betriebliche Situation, sondern vor allem seine eigene. Wenn die Forderungen der Arbeitgeber durchkämen, hätte er 1.000 Mark weniger in der Lohntüte, meint er. „Dann bin ich ja automatisch Sozialhilfeempfänger, das reicht gerade mal für Miete und Unkosten“, klagt er und fügt hinzu: „In dieser Situation will ich kein Kind in die Welt setzen.“ Andere Bauarbeiter pflichten ihm bei: „Da kann man ja alles abstellen, Telefon, Fernseher, oder ich geh' betteln.“

Besonders verärgert sind die Bauarbeiter über die geforderte Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: „Wenn du krank bist, dann haste deine Gesundheit auf der Baustelle gelassen.“ Dietmar Raschmann hält dagegen, daß ihn die Lohnfortzahlung 300.000 Mark im Jahr koste, und vermutet hinter so mancher Krankmeldung fehlende Lust.

Die zweite Woche im Baustreik wird wohl kaum die letzte bleiben. Ein für beide Seiten befriedigender Kompromiß ist nicht nur nicht in Sicht, es scheint fraglich, ob es ihn überhaupt geben kann. Die Ursachen für den Streik und die ihm zugrundeliegende Problematik „werden ganz woanders gesetzt“, meint Dietmar Raschmann. Tobias Singelnstein

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