: Kroatische Boykotteure ausgetrickst
Die Pale-Serben ziehen ihre Drohung, die Wahlen zu boykottieren, zurück. Kroatische Nationalisten wurden ausgebootet. 10.000 demonstrieren in Mostar gegen die Abstimmung ■ Von Erich Rathfelder
Seit ihrem Beschluß, die für das Wochenende angesetzten Kommunalwahlen in Bosnien-Herzegowina zu boykottieren, ist die Führung der bosnisch-kroatischen Nationalpartei HDZ einer massiven Kritik der internationalen Gemeinschaft ausgesetzt. Nachdem das Parlament der bosnischen Serben am Mittwoch abend überraschend seine Boykottdrohung zurückgezogen hat, stehen die bosnischen Kroaten allein im Regen. Unbeeindruckt von 10.000 kroatischen Demonstranten in Mostar bekräftigte der Pressesprecher der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), David Fohley, den Willen der internationalen Gemeinschaft, die Kommunalwahlen in Bosnien-Herzegowina unter allen Umständen abzuhalten. Wer sich außerhalb des Wahlprozesses stelle, isoliere sich selbst. Bis zuletzt hatte die Führung der kroatischen Nationalisten gehofft, das Parlament in Pale würde hart auf Boykottlinie bleiben. Beide Seiten hatten gleichermaßen hinter den Kulissen versucht, Veränderungen an den Wählerlisten der OSZE zu erreichen. In bezug auf Mostar monierten die Kroaten, kroatischen Flüchtlingen sei die Registrierung erschwert worden. Und in bezug auf die Stadt Brčko forderte das serbische Parlament, die aus den Wählerlisten gestrichenen 2.285 Personen müßten wieder eingetragen werden. In beiden Fällen geht es um nationale Mehrheiten. Die Kroaten laufen Gefahr, in Mostar die Mehrheit an die Muslime zu verlieren, die Serben in Brčko ebenso.
Bei den Verhandlungen mit der OSZE hatte die serbische Seite Erfolg. Die 2.285 Personen sind auf den Wahllisten wieder aufgetaucht. Zwar erklären die Sprecher der OSZE, die Korrektur des bedauerlichen Fehlers habe nichts mit den Verhandlungen über den Boykott der serbischen Seite zu tun. Die Führung der kroatisch- bosnischen Nationalpartei HDZ jedoch reagiert sauer. „Wir werden erst an den Wahlen teilnehmen, wenn die Bedingungen dafür geschaffen sind“, erklärte der Vorsitzende der HDZ, Bozo Rajić.
Daß den Kroaten nachgegeben wird, ist jedoch nicht zu erwarten. Zudem haben sich in den von der HDZ kontrollierten Gebieten Bosnien-Herzegowinas kritische Stimmen gemeldet, die für eine Teilnahme an den Wahlen sprechen. Einige kleinere Oppositionsparteien, wie die in letzter Zeit stärker gewordene Kroatische Bauernpartei (HSS), erklärten, die Boykottdrohung sei ein historischer Fehler für die Kroaten Bosnien-Herzegowinas. Die HDZ fürchte, nicht nur in Mostar, sondern auch in einigen kroatisch dominierten Gebieten ihre bisherige Machtposition einzubüßen.
In den 1995 eroberten, ehemals ausschließlich von Serben bewohnten Gebieten um Drvar und Bosansko Grahovo, die jetzt unter kroatischer Kontrolle stehen, würden zudem in den künftigen Gemeinderäten Serben in der Mehrheit sein. Dies treffe ebenso auf Bosanski Brod zu.
Immerhin hat die HDZ bis gestern ihre Wahlveranstaltung nicht suspendiert. Und da die US-amerikanische Regierung wie auch die EU harte Worte gegenüber der Führung in Mostar fanden, ist nicht auszuschließen, daß der kroatische Präsident Tudjman gezwungen ist, Druck auf seine Gefolgsleute in Bosnien-Herzegowina auszuüben. Es dürfte Tudjman nämlich nicht entgangen sein, daß die Drohungen, die internationale Wiederaufbauhilfe um Boykottgebiete herumzuleiten, ernst zu nehmen sind. Schon nach der erneuten Vertreibung von Muslimen aus der kroatisch kontrollierten zentralbosnischen Stadt Jajce waren für die Kommune bereitstehende Gelder eingefroren worden. Die Europäische Union (EU) drohte mit Konsequenzen, falls die bosnische Kroatenpartei ihren Boykottaufruf nicht zurücknehme. So hängt es jetzt von dem Geschick der Diplomaten in Sarajevo ab, der Führung der kroatischen Nationalisten einen Weg „ohne Gesichtsverlust“ anzubieten, ohne deren Forderungen zu akzpetieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen