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Ein Bündnis für Schafe

Kein Hirte in Sicht. Die biblische Lesart des Steuer- und Rentenchaos in Bonn  ■ Von Markus Franz

In Bonn geht nichts mehr. Kann nur noch göttlicher Beistand helfen? Ein biblisches Gleichnis besagt: Ein Hirte ruft um Hilfe, weil angeblich Wölfe seine Herde bedrohen. Man eilt ihm zu Hilfe. Doch der Hirte hat nur so getan. Als seine Herde wirklich von Wölfen bedroht wird und er um Hilfe schreit, hilft ihm niemand mehr.

Was will uns das sagen? Gar nichts, weil es sich in Wirklichkeit um eine Passage aus der geplanten Weihnachtsansprache des Bundeskanzlers handelt? Oder geht es hier um den Versuch, den Satz des CSU-Landesgruppenchefs Michael Glos mit Leben zu füllen: „Ich gebe zu – die Trennung zwischen Politik und Realsatire ist zur Zeit nur noch schwer möglich“? Ein Gleichnis, das noch niemand kennt, weil es soeben erfunden wird, lautet: Ein Saarländer bietet einem kranken Mann, der um Medikamente bettelt, immer wieder seine Hilfe an. Er kommt sogar in seine Wohnung, findet salbungsvolle Worte, informiert die Medien über seine guten Absichten, aber dann findet er doch, daß der kranke Mann seine Hilfe nicht verdient.

Ein modernes Gleichnis in Form einer Karikatur erzählt: Ein kleiner Junge hat die Attrappe einer Haifischflosse auf dem Kopf, die so aus dem Wasser ragt, daß er kleine Mädchen damit erschreckt. Im nächsten Bild schwimmt ein blondes hübsches Mädchen auf den Jungen zu. Er ist entzückt. Diesmal ist es ein Hai, der eine Puppe auf seinem Schwimmflügel hat. Das hat der Junge nun davon.

Auch die Bundesregierung hat in den letzten Monaten viel um Hilfe gerufen. Wie ein Hirte, der nicht mehr genug Verwendung für seine Schafe findet, hat sie sich um ein Bündnis für Schafe bemüht. Landauf, landab warb sie dafür und gefiel sich in dieser Rolle. Aber weil der gute Hirte lediglich mehr Hilfskräfte für eine großangelegte Rasur gewinnen wollte, blieb doch alles beim alten.

Als nächstes beabsichtigten die Herren, ein Füllhorn der Segnungen über dem leidgeprüften Volk auszuschütten. Als wenn Finanzminister Theo Waigel König Midas wäre, versprach er eine Steuerreform mit einer Nettoentlastung von 30 Milliarden Mark. Doch dafür brauchte er die Hilfe eines mächtigen Saarländers, der gerne einwilligte, mit Gottvater Kohl persönlich zu verhandeln. Leider, leider gab es unüberbrückbare Differenzen. Wo sollte man sich bloß treffen? Im Olymp der Politik, dem Kanzleramt, oder auf dem erdigen Terrain der Sozialdemokraten? Der Gipfel drohte zu scheitern. Die nächste himmelhohe Hürde ließ nicht lange auf sich warten. Die Bergleute streikten, weil die Regierung Subventionskürzungen ankündigte. Die SPD fand das gar nicht gottgefällig und sagte das vereinbarte zweite Gipfelgespräch kurzfristig ab. Endlich war man sich einig. Das Volk staunte, aber weil zugleich eine Einigung im Vermittlungsausschuß angekündigt wurde, gab es die Hoffnung nicht auf. Die Regierung schlug vor, auf die Nettoentlastung zu verzichten, was die Sozialdemokraten gnädig stimmen sollte. Aber da sie dieses Angebot nicht schriftlich unterbreitete, wie die SPD gefordert hatte, wurde es nichts damit.

Auch in dieser Woche hat die Bundesregierung einen Vorschlag zur Einigung nicht schriftlich unterbreitet. Gar nicht von oben herab, sondern wie du und ich rief Kanzleramtsminister Friedrich Bohl bei SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering an. Nach dem Motto „Tu Gutes und rede darüber“ wurde die Welt davon selbstverständlich in Kenntnis gesetzt. Auch die SPD, insbesondere SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping, bekundete Interesse. Aber dann bockte die SPD doch. Unter Einschaltung der Götterboten von den Medien ließ sie mitteilen, es müsse ein konkretes schriftliches Angebot gemacht werden.

Wie also die allgemeine Blockade entwirren? Einen Vorschlag hat am Mittwoch der Journalist Wolfgang Kentemich in den „Tagesthemen“ gemacht: Ebenso wie die Gewerkschaften gegen unsoziale Tarifpolitik sollten die Bürger gegen die Politik streiken. Aber weil niemand weiß, wie das gehen soll, werden sich die Bürger vielleicht auf andere Weise rächen: nicht zur Wahl gehen. Das haben die Politiker davon. Wie der kleine Junge am Strand mit dem Hai.

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