: Nackt im Unterholz
■ Wo kein Beruf ist, gibt es auch kein Geheimnis. Die Ex-Prostituierte Rita Dolder liest aus ihrem Buch über Sexarbeit im Regierungsviertel
Eingerahmt von zwei weißen, phallusartigen Gebilden mit Flügeln sitzt Rita Dolder auf dem Podium. Während zwei Berliner Kolleginnen im Wechsel einzelne Passagen aus ihrem Buch vorlesen, wirft sie mal einen Blick auf ihren Zwergpudel, mal ins Publikum. Die autobiographische Schilderung ist schlicht, ohne anekdotischen Schnickschnack, und bleibt auch so, wenn es um delikatere Details der Sexarbeit geht.
Bundesrat und Regierungsmitglied German zum Beispiel, den sie mit der Peitsche splitternackt durchs Unterholz jagte, oder Ständeräte und Schweizer Politiker, sie alle zählten zu Dolders Stammkunden. „Wieviele Bürgerinnen und Bürger gibt es, die einen Bundesrat gern ins Gesicht spucken würden, weil dieser einen Entscheid gefällt hat, der einem Teil der Bevölkerung nicht paßt? Ich hatte das Privileg“, sagt sie und fügt hinzu: „Meine großen Freier waren alle Parlamentarier. Nun haben sie Angst, ich könnte doch noch Namen sagen, also geben sie in der Gesetzgebung eher in gewissen Dingen nach, als mich auf dem Hals zu haben.“
Nach dreißig Arbeitsjahren und einem Buch, das ihr „Leben als Prostituierte“ schildert, resümiert Rita Dolder noch einmal. Man verüble ihr wohl weniger ihre Vergangenheit. Auch nicht den Schritt, mit ihren Erfahrungen als Prostituierte und späterer Domina an die Öffentlichkeit zu gehen. „Heute werde ich verdammt, weil ich die sogenannten Saubermänner in die Pfanne gehauen habe. Als gäbe es so etwas wie einen Berufskodex: die Prostituierte muß schweigen – Berufsgemeimnis. Aber wo kein Beruf ist, gibt's auch kein Geheimnis.“
Ihr Weg zur stiefeltragenden Fachfrau für Macht- und Sexspielchen jenseits des „Blümlisex“ begann rund um das Berner Bundeshaus, wo während der Sezession, des schweizerischen Parlamentsturnus, die Abgeordneten tagen. Mehrfach wurde versucht, die anschaffenden Frauen aus dem Bereich des Regierungsviertels zu verbannen, obwohl sie sich über mangelnden Zuspruch der parlamentarischen Kundschaft nicht beklagen können. Im Gegenteil, genau die Parteimitglieder, die die schärfsten Gesetze forderten, fanden sich in der Sitzungspause oder nach Feierabend in Ritas Salon ein, bereit, wie „Herr Waldeli“ angeleint im Treppenhaus Gassi zu gehen oder mit Wonne den gut versteckten Knochen zu suchen. Schon Anfang der sechziger Jahre, als sie mit der Prostitution begann, war das Terrain um das Berner Bundeshaus ein besonderes Pflaster. Nach den Repressalien der letzten Jahre war die Zeit reif für einen besonderen Coup.
Allen voran Rita Dolder, die Frontfrau der Prostituiertenorganisation Xenia. Trickreich hatte man mit Journalisten eine konzertierte Aktion vor dem Bundeshaus inszeniert. Nachher zog die parlamentarische Arbeitsgruppe ihr Ansinnen zurück. Nach einem Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens, in dem sie damals noch als Susanne D. auftrat, begann sie – inzwischen ausgestiegen – gemeinsam mit der Koautorin Juliana Balmer das Buchprojekt. Lesungen und Talkshows folgten. Hier nahmen auch die Berlinerinnen von „Sexplus“ mit ihr Verbindung auf, vier Frauen, die mit Sexartikeln Puffs und Bordelle beliefern und daneben kulturelle Veranstaltungen aus dem Bereich der Prostitution organisieren. „Ich warte auf den Tag, an dem ein hoher Politiker öffentlich sagt: Ja, ich gehe zu einer Prostituierten.“ Gudrun Holz
Freitag, 15 Uhr, im Prostituiertentreffpunkt Olga, Derfflingerstr. 19, Tiergarten
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