: „Und deswegen haben sie solche Angst vor ihm“
■ Die Pariser Anwältin Isabelle Coutant Peyre, Hauptverteidigerin von Ilich Ramirez Sánchez, meint, die fragwürdigen Umstände seiner Festnahme machten den Prozeß zu einer „politischen Affäre“
taz: Carlos hat in den vergangenen drei Jahren rund 30 Anwälte verschlissen. Wer verteidigt ihn denn nun wirklich?
Isabelle Coutant Peyre: Ich. Alle anderen sind entbunden. Das allein zu machen, ist übrigens nicht die reine Freude. Ich muß mich um alles kümmern, selbst um die neue Brille, die er braucht.
Manche seiner Ex-Anwälte bezeichnen eine Zusammenarbeit mit Carlos als unmöglich.
Ich verstehe mich sehr gut mit ihm. Aber wir arbeiten zusammen, er entscheidet nicht allein.
Wie lautet Ihre Strategie?
Der Prozeß ist die erste Gelegenheit, ernsthaft seine Entführung zu erörtern. Darüber muß das Gericht entscheiden. Das französische Recht schreibt vor, daß ein in Abwesenheit geführter Prozeß neu geführt wird, wenn die Person sich stellt oder verhaftet wird.
Carlos ist verhaftet worden.
Nein. Verhaftung ist ein genau definierter juristischer Terminus. Aber hier befinden wir uns außerhalb des Gesetzes. Es gab kein Auslieferungsverfahren und keinen anwendbaren Haftbefehl. Der nationale Haftbefehl ist erst am 15. August 1994 um 13.15 Uhr bekanntgegeben worden. Da befand Carlos sich bereits seit 3 Uhr morgens gegen seinen Willen in den Händen der DST (die französische Spionageabwehr; d. Red.), die ihm in Sudans Hauptstadt Khartoum Drogen gespritzt, ihn gefesselt, ihm eine Kapuze übergestülpt und ihn in einen Sack gesteckt hatte. Selbst, als er um 10 Uhr morgens in Paris landete, lag der Haftbefehl noch nicht vor. Es gab einen korrupten Deal, um die Entführung zu organisieren. Daran waren ein Berater des ehemaligen sudanesischen Präsidenten, französische Vertreter und der CIA beteiligt. Das war kein Sieg des Rechtsstaates, sondern ein Akt übergeordneter Politik. Das Ganze ist eine politische Affäre.
Wer wollte Ihres Erachtens diese „politische Affäre“?
Die zionistische und revisionistische Gruppe „SOS-Attentat“, die sich eine Vereinigung von Attentatsopfern nennt und als Nebenklägerin auftritt, sowie Richter Bruguière und die DST. Sie haben vor Carlos Entführung Druck auf Paris ausgeübt. Wunderlicherweise hat Bruguière dann im Juni 1994 einen Haftbefehl eingeleitet.
Wollen Sie einen Prozeß gegen den Zionismus anstrengen?
Ich begrenze das nicht auf den Zionismus. Carlos ist ein Kommunist und Revolutionär, der den größten Teil seines Lebens dem Befreiungskampf von Palästina gewidmet hat. Das mögen auch die Amerikaner nicht.
Wie ist der Prozeß vorbereitet?
Das Dossier ist nicht komplett. Es enthält keine Originale aus der Ermittlungsakte aus dem Jahr 1975. Aus dem Verfahren von 1982 in Carlos Abwesenheit fehlen zahlreiche Dokumente. Es gibt nur Kopien, und auch die sind nicht vollständig. Es ist der Versuch eines stalinistischen Prozesses, in dem aus historischen Gründen jemand mit einer bestimmten politischen Orientierung schuldig gesprochen werden soll.
Gibt es neue Elemente in diesem Verfahren?
Die Verteidigung hat natürlich verlangt, daß der Ex-Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad, Victor Ostrovsky, als Zeuge geladen wird. Er lebt heute in Kanada und ist zu einer Zusammenarbeit bereit. Aber der Untersuchungsrichter Bruguière hat nichts unternommen, um ihn zu hören. Bruguière hat auch die Augenzeugen, die während der Schießerei 1975 in der Rue Toullier dabei waren, nicht geladen. Die meisten von ihnen leben heute in Venezuela. Unter ihnen ist eine bekannte Ethnologin und eine Universitätsprofessorin. Der Autor eines Buches über Carlos hat sie kürzlich interviewt. Aber Bruguière ist es nicht gelungen, sie zu finden. Statt dessen hat er zehn Polizisten nach Venezuela geschickt, um die Familie von Carlos zu vernehmen. Wenn das Gerichtsverfahren trotz allem fortgesetzt wird, ist das schwerwiegend für einen demokratischen Staat.
Es ist seltsam, daß einer, der sein Leben lang das bürgerliche System bekämpft hat, sich jetzt mit den Mitteln der bürgerlichen Justiz verteidigt.
Er ist viel intelligenter. Er benutzt auch die Politiker. Deswegen ist er gefährlich. Und deswegen haben sie solche Angst vor ihm.
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