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Ein unbeschriebenes Blatt

■ Die Leerstelle als Versatzstück: Im Berliner Marstall werden noch einmal alle 19 ausgewählten Entwürfe für ein Holocaust-Mahnmal vorgestellt. Steine, Stelen, Sterne auf planem Grund

Den eingeladenen Künstlern wird die Kooperation mit einem Architekten empfohlen.“ Der Satz steht gut lesbar am Ende der zweiten Auslobung zum Mahnmal der ermordeten Juden in Europa. Er klingt wie ein vorsichtiges Resümee der drei Kolloquien, die nach dem Scheitern des ersten Wettbewerbs abgehalten wurden. Dort hatte man viel über die Undarstellbarkeit des Holocaust diskutiert, immer wieder die Größe der Fläche kritisiert und schließlich auch an der Aufgabe gezweifelt, allein der ermordeten Juden zu gedenken, während etwa Sinti und Roma nicht berücksichtigt sind.

Trotzdem ist der Ratschlag mehr als nur gut gemeint. Die am Mittwoch abend eröffnete Ausstellung aller 19 Mahnmalentwürfe im Berliner Marstall zeigt, wie sehr die Realisierung von der Gestaltung des gesamten urbanen Umfelds abhängt. Offenbar hat sich die räumliche Erfahrung gegen das Spiel mit Metaphern und Symbolen durchgesetzt. Vor allem merkt man diese Notwendigkeit den gescheiterten Beiträgen an: Rebecca Horns „Seelenfahne“, die als Speer über einer abgesenkten Spiegelfläche schwebt, soll zwar „als Seismograph aller Energieströme im öffentlichen Raum“ funktionieren. Doch der Ort in der Tiefe ist bloß über eine hübsch verschlungene Wendeltreppe zu erreichen – ein Schneckenhaus im Zentrum von Berlin. Auch das von Dani Karavan geplante Beet mit gelben „Coreopsis Verticillata Zagreb“, die zu einem Davidstern aufblühen sollen, verliert sich in der Liebe zum Detail. Daß sich die Blumen nicht durch Samen fortpflanzen, sondern über ihre Wurzeln, spricht den Botaniker an und vergißt doch so praktische Dinge wie den Umstand, daß man bald die Hälfte des Jahres vor einem Feld aus kargem Gestrüpp stehen wird. Gedacht wird dann im Frühling oder im Sommer, und im Herbst wird geharkt.

Überhaupt haben die betont künstlerischen Entwürfe einen seltsamen Hang zur Melancholie. Markus Lüpertz dachte an eine tanzende Rahel aus Bronze und wurde abgelehnt. Gerhard Merz hätte gern einen weißen, mekkaartigen Würfel auf dem Areal zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz installiert, als Zeugnis „unstillbarer Trauer“. Doch damit die Trauer auch ästhetisch gut ankommt, hat der Bildhauer die umstehenden Bäume im Modell gleich mit Weiß angesprüht. Eine ebenso minimalistische wie totale Lösung des Gedenkens: ein Traum in Weiß. Umgekehrt verschiebt sich bei dem ausgeklügelten Konzept von Rudolf Herz und Reinhard Matz der Gegenstand des Erinnerns. Als Angriff auf Hitlers Mobilmachungsphantasien wollen sie einen Kilometer Autobahn in der Nähe von Kassel mit Kopfstein pflastern, um den Schrecken an dezentraler Stelle fühlbar zu machen. Unwillkürlich sieht man lange Verkehrsstaus und wundert sich über den Kontext.

Sehr viel bedrückender ist allerdings die Gleichförmigkeit der Modelle. Wieder und wieder wurde das schiefe Rechteck als Grundriß brav reproduziert, maßstabsgerecht verkleinert und dann mit Mahnmalen bestückt. Noch immer dominiert die von den Auslobern einmal festgelegte Fläche – lediglich der Architekt Daniel Libeskind arbeitet mit seinem Entwurf gegen die vorgegebene Achse und dringt in den angrenzenden Tiergarten ein. Ansonsten triumphiert die Leerstelle als Versatzstück: Steine, Stelen, Sterne, alles auf planem Grund, wie auf einem unbeschriebenem Blatt Papier.

Daß auch die Topographie problematisch ist, hatte zuletzt Götz Aly in der Berliner Zeitung geschrieben. Ausgerechnet an dem Ort, der für das Mahnmal vorgesehen ist, hatte in Nazideutschland das ehemalige Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Hungerblockade russischer Großstädte beschlossen. Vielleicht muß man doch noch einmal über Lücken, gerade im Bezug auf die Geschichte, nachdenken. Harald Fricke

Bis 27.1. 1998 im Marstall, Berlin. Am 12.1. und 20.1. finden in den Ausstellungsräumen öffentliche Diskussionen über die Entwürfe statt

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