Asylbewerber sind „eine Art Pilotgruppe“

■ Die Asylcard – der Anfang für die Überwachung weiterer Bevölkerungskreise?

Hannover im Jahr 2008 – Mal wieder reisen Hunderte Punks zu den Chaostagen an. Mit der U- Bahn fahren sie zum Treffpunkt. Doch als sie aussteigen wollen, lassen die elektronischen Sperren sie nicht durch – die Informationen auf ihren Chipkarten verraten sie als potentielle Punks. Weil die Chipkarten U-Bahn-Fahrschein, Ausweis und Sozialversicherungskarte in einem sind, erkennt die elektronische Sperre: Der Karteninhaber stammt nicht aus Hannover, geht keiner geregelten Arbeit nach und ist unter 25. Für Leute mit diesem Profil hat die Stadtverwaltung die City gesperrt. Wer zufällig die gleichen Merkmale erfüllt, hat Pech gehabt – auch für ihn bleiben die Schleusen zu.

Noch ist das Szenario Fiktion, doch wenn sich Manfred Kanther mit seinen Plänen für eine Asylcard durchsetzt, wären die juristischen und technischen Grundlagen geschaffen, fürchten Experten. „Ich konnte den Eindruck nicht verhehlen, daß die Asylcard nur der Anfang für die Umsetzung weiterer Überwachungsvisionen bei bestimmten Bevölkerungsgruppen ist“, sagt Niedersachsens oberster Datenschützer Gerhard Dronsch. Auch Dronschs Berliner Kollege Garstka glaubt nicht, daß die neue Technologie auf Asylbewerber beschränkt bleibt: „Wir beobachten einen starken Überwachungsdruck bei anderen Minderheiten.“ Der Jurist und Informatiker Jan Kuhlmann von der Universität Bremen hält die Asylsuchenden für „eine Art Pilotgruppe“. Die Erfahrungen, die man mit der Asylcard mache, ließen sich leicht übertragen. „Am ehesten kommen sozial gefährdete Gruppen als Experimentierfeld in Frage, zum Beispiel Sozialhilfeempfänger.“ Er sieht eine Psychologie der Ausgrenzung am Werk: „Der erste Schritt ist die Definition einer Krise, in diesem Fall: der Finanzkrise des Staates, hervorgerufen durch Mißbrauch von Sozialleistungen.“ Chipkarten werden so zum scheinbar legitimen Mittel der Kontrolle. Um Mißbrauch präventiv zu verhindern, könnte die Sozialhilfe zweckgebunden auf die Chipkarte gebucht werden – dann könnte man etwa die Fahrtkostenbeihilfe nur noch für Fahrscheine ausgeben. Wer lieber Fahrrad fährt, um für das gesparte Geld eine neue Bluse auszugeben, ist aufgeschmissen.

Die Frage „Was ist Mißbrauch?“ gehe von der Überlegung aus, „Was ist eine angemessene Lebensform für Sozialhilfeempfänger?“ erklärt Kuhlmann. „Das entscheiden dann nicht mehr die Betroffenen selber, sondern Ärzte, Mediziner, Soziologen. Dem liegt der Wahn zugrunde, daß Wissenschaftler und Beamte besser wissen als die Betroffenen selbst, wie sie leben sollen. Das ist eine Art Logik der fürsorglichen Kontrolle, das ist die DDR- Schiene.“

Aus der Luft gegriffen sind die Bedenken der Kritiker nicht. Bei der Erstellung eines Konzepts für die Asylcard müsse berücksichtigt werden, heißt es im Anforderungskatalog, daß der „Zwang zur Weiterentwicklung systemimmanent“ sei. „Weitere Ausbau- und Nutzungsmöglichkeiten“ sollten geprüft werden – „auch in anderen Verwaltungsbereichen.“