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Straßenschlacht in Montenegro

Anhänger von Expräsident Bulatović versuchen, die Amtseinführung des neuen Staatschefs zu verhindern. Innenminister verhängt ein Demonstrationsverbot  ■ Aus Podgorica Andrej Ivanji

„Djukanović, der Türke, ist im Regierungsgebäude!“, brüllen die Demonstranten. Tausende marschieren zum Regierungssitz im Zentrum der montenegrinischen Haupstadt Podgorica. Die Anhänger des bei den Präsidentenwahlen unterlegenen Momir Bulatović wollen die Amtseinführung des neuen Präsidenten Milo Djukanović verhindern. Die Demonstranten versuchen, den Polizeikordon zu durchbrechen und durch einen Nebeneingang in das Gebäude einzudringen. Polizisten werden mit Steinen beworfen. Sie antworten mit Tränengas. Schüsse aus Schnellfeuergewehren und Explosionen sind zu hören. Handgranaten werden geworfen, Autos umgestürzt und dann angezündet.

Die Straßenschlachten dauern bis spät in die Nacht. Die Demonstranten zünden zwei Feuerwehrwagen an und errichten Barrikaden. Die Polizei setzt Wasserkanonen und Panzerwagen ein. Das montenegrinische Staatsfernsehen appelliert, die Ruhe zu bewahren. Um ein Uhr morgens wendet sich der montenegrinische Innenminister Filip Vujanović an das Volk: „Die Situation ist unter Kontrolle, ab sofort werden Massenkundgebungen in Podgorica verboten.“ Vujanović bittet Belgrad, zur Beruhigung der „hochgefährlichen“ Situation beizutragen.

Das vorläufige traurige Ergebnis: Sechs Zivilisten und 58 Polizisten verwundet, viele Demonstranten verhaftet. Das jugoslawische Bundesheer hat sich nicht eingemischt. Einzelne Offiziere sollen jedoch versucht haben, Waffen an die Demonstranten zu verteilen.

Momir Bulatović beschuldigt die Polizei, auf sich selbst Handgranaten geworfen zu haben. „Es bleibt mir nichts übrig, als zu warten, dieses Volk zu beobachten und traurig zu sein“, erklärt Bulatović. Sein Versuch, die Inauguration von Djukanović zu verhindern, ist gescheitert. Ihm droht eine Verhaftung wegen „Anstiftung zum bewaffneten Aufstand“.

Radoje Kontić, der aus Belgrad herbeigeeilte jugoslawische Ministerpräsident, versucht zwischen den Bulatovic-treuen Demonstranten und Djukanović zu vermitteln. Kontić ist zu Djukanović übergewechselt. Er soll Bulatovićs Forderung, den Ausnahmezustand auszurufen, abgelehnt haben.

Das offizielle Belgrad schweigt. Am Mittwoch hatte der jugoslawische Bundespräsident, Slobodan Milošević, ein Treffen mit dem Sonderbeauftragten des US-Präsidenten, Robert Gelbrad, abgelehnt. Djukanović ließ sich gestern seine Inauguration in der 70 Kilometer von Podgorica entfernten Stadt Cetinje nicht verderben. Über 50 Botschafter wohnten der Zeremonie bei und ließen keinen Zweifel daran, auf wessen Seite die EU und die USA stehen.

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