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Irakern droht die Abschiebung in den Tod

Ein US-Richter will sechs im Herbst 1996 in die USA evakuierte Iraker zurück nach Bagdad abschieben lassen. Warum, bleibt geheim. Sind sie Doppelagenten? Ihre Anwälte fürchten, daß ihnen die Hinrichtung droht  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Sechs in den USA lebende Iraker sollen in ihre Heimat abgeschoben werden, obwohl ihnen dort nach Darstellung ihrer Anwälte Folter und Hinrichtung drohen. Das verfügte der kalifornische Richter D.D. Sitgraves am Montag. Seine Begründung: Die Iraker bildeten „eine Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten“. Welche Befürchtungen sich hinter dieser Formulierung verbergen, erklärte der Richter nicht. Sie stehen auf 92 Seiten in der schriftlichen Urteilsbegründung. Doch das Dokument ist geheim, nicht einmal die Verteidiger der Iraker dürfen es einsehen, denn die meisten der vorgebrachten Beweise entstammen geheimen Aussagen von FBI-Agenten. „Wie soll man in die Revision gehen, wenn man keinen Zugang zu den Beweisen hat?“ beschreibt Niels Frenzen, einer der Anwälte, die Probleme der Verteidigung.

Der Grad der Geheimhaltung und der Hintergrund der Iraker läßt vermuten, daß ihnen Spionage vorgeworfen wird – oder besser: Doppelspionage. Alle sechs – ein Kurde und fünf Araber – gehören zu irakischen Oppositionsgruppen, dem Irakischen Nationalkongreß (INC) oder dem Irakischen Nationalen Einverständnis. Beide werden vom US-Geheimdienst CIA materiell und logistisch unterstützt.

Die sechs Iraker kamen in die USA, als im Herbst 1996 ein von CIA-Agenten unterstüzter Umsturzversuch gegen Saddam Hussein scheiterte. Im von Kurden kontrollierten Nordirak ansässige irakische Oppositionelle und CIAler hatten einen Putsch geplant. Doch der Versuch scheiterte an der Zerstrittenheit der irakischen Kurden. Bevor die Putschisten aktiv werden konnten, marschierten irakische Truppen gemeinsam mit Kämpfern der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) in der kurdischen Hauptstadt Arbil ein. Die KDP war das unheilige Bündnis eingegangen, um die rivalisierende Patriotische Union Kurdistans zu vertreiben. Der irakische Geheimdienst nutzte die Gunst der Stunde, um Jagd auf Oppositionelle zu machen. Etwa 100 Mitglieder des INC wurden erschossen. Andere verschwanden spurlos. „Innerhalb von zwei Stunden verlor die irakische Opposition ihre gesamte Infrastruktur“, beschreibt ein INCler die Wirkung des Angriffs.

Irakische Oppositionelle berichten, die in Arbil stationierten CIA-Agenten hätten die Stadt vor dem Einmarsch verlassen. Sie sollen erfahren haben, daß das von ihnen geschmiedete Zweckbündnis von Iraks Geheimdienst unterwandert worden war. „Die USA haben niemals versucht, Saddam Hussein zu stürzen“, meint dagegen der in London lebende irakische Oppositionelle Hassan al-Alawi. Es habe nie einen von der CIA unterstützten Putsch gegeben, schließlich sei Saddam Hussein „für die US-Interessen am Golf unersetzlich“.

Doch warum ließen die USA nach dem irakischen Einmarsch in Arbil sechstausend Iraker in die USA ausfliegen, darunter die sechs jetzt vor der Auslieferung stehenden? Die Evakuierten hätten für die CIA gearbeitet, hieß es damals. Eine Mögliche Erklärung für diesen Widerspruch liefern Informationen des damals im Nordirak aktiven und inzwischen pensionierten US-Geheimdienstlers Warren Marik. Die CIA sei über ihr Vorgehen im Irak zutiefst zerstritten gewesen, einige wollten die irakische Opposition unterstützen, andere hätten das strikt abgelehnt. Die im Herbst 1996 gescheiterte Putsch- Initiative sei ein Alleingang im Nordirak aktiver CIAler gewesen, spekulieren irakische Oppositionelle. Die Agenten seien in letzter Minute aus Washington zurückgepfiffen worden.

Die wahre Geschichte der Aktivitäten des US-Geheimdienstes im Irak ist nicht bekannt. Vielleicht könnten die sechs in den USA zur Abschiebung freigegebenen Iraker sie ein wenig erhellen. Doch sie sitzen im Hafen von Los Angeles in Auslieferungshaft.

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