■ Kambodscha: Die Roten Khmer erklären den Diktator Pol Pot für tot
: Nur Opfer, keine Täter

Wenn die notorisch lügenden Roten Khmer dieses Mal ausnahmsweise die Wahrheit sagen, dann hat Pol Pot jetzt seinen letzten großen Coup gelandet – er legte sich ins Bett und starb. Ob seine früheren Freunde, die ihn seit Monaten „unter Hausarrest“ hielten, dabei ein wenig nachhalfen oder nicht, wird am bitteren Ergebnis nichts ändern: Ein Völkermordtribunal gegen die Roten Khmer, unter deren Herrschaft in den Siebzigern über eine Million Menschen umkamen, wird es ohne Pol Pot nicht mehr geben.

Eine Chance für die kambodschanische Gesellschaft, endlich darüber nachzudenken, wie die Verbrechen der „Angkar“ (Organisation) geschehen konnten, ist vorbei. Statt dessen wird Pol Pot wohl weiterhin ganz allein verantwortlich gemacht werden. Er habe schließlich alle Macht in den Händen gehalten, alle letzten Entscheidungen gefällt. Das behaupten Pol Pots frühere Weggefährten, die mit ihm über Jahrzehnte hinweg die Guerillabewegung aufgebaut haben und die Massaker an Intellektuellen, „dekadenten städtischen Elementen“ oder „KGB-, CIA-, Vietnamesenspitzeln“ organisierten. Damit rechtfertigt auch die Regierung in Phnom Penh, in der viele ehemalige Rote Khmer sitzen, ihre Zusammenarbeit mit den Überläufern. Es ist ein Land voller absurder Legenden und voller selbsternannter Opfer, die eine eigene Verantwortung am Völkermord leugnen. Selbst nachdenkliche und gebildete Leute in Phnom Penh erklären eifrig, die Mörder seien wahrscheinlich keine Kambodschaner gewesen, sondern verkleidete Vietnamesen, die das verhaßte Nachbarland Kambodscha schon immer zerstören wollten.

Gefördert wurde diese Haltung jahrzehntelang auch vom Ausland. Schließlich akzeptierten in den achtziger Jahren auch die Amerikaner und Europäer, die jetzt am lautesten ein Völkermordtribunal gefordert haben, daß die Roten Khmer Kambodscha in der UNO vertraten. Die Killing Fields waren längst bekannt. Die Roten Khmer mußten nur eine kleine Bedingung akzeptieren: Pol Pot trat offiziell von seinem Posten als Chef der Organisation zurück. Jeder wußte jedoch, daß er die Fäden weiter in den Händen hielt. Heute sieht man die Folgen dieser Mixtur aus Weltmachtpolitik und nationaler Verdrängung der Vergangenheit. In Kambodscha herrschen Angst und Rechtlosigkeit. In diesem Klima kann das Erbe der Roten Khmer die Gesellschaft weiter vergiften. Jutta Lietsch