: Wähler zählen statt Kinder hüten
■ Bezirke sollen zur Wahlvorbereitung MitarbeiterInnen aus dem Personalüberhang einsetzen. Dies trifft besonders die Erzieherinnen, die in den Kitas aber dringend gebraucht werden
Statt Kinder zu betreuen, soll ein Teil der Erzieherinnen städtischer Kitas, die zur Zeit auf Personalüberhangstellen sitzen, in den kommenden Wochen die Bundestagswahl vorbereiten. Das kritisierte Sabeth Vilmar vom Landeselternausschuß Berliner Kindestagesstätten (LEAK). „Unsere Erzieherinnen sollen von heute auf morgen für acht Wochen aus ihrer Arbeit herausgerissen werden“, so Vilmar. „Gewachsene Beziehungen werden zerschnitten, die Verhältnisse in den Kitas chaotisiert.“ In Berlin arbeiten 633 Erzieherinnen im Personalüberhang, fast alle von ihnen in den Ostbezirken.
Der Hintergrund der Personalumschichtung: Anders als bei vorangegangenen Wahlen hat die Innenverwaltung den Bezirken bislang keine Mittel für die befristete Einstellung von Einsatzkräften bewilligt, die Wählerverzeichnisse erstellen und Wahlbenachrichtigungskarten versenden. Die Bezirke sollen auf Überhangkräfte zurückgreifen, solche MitarbeiterInnen also, die auf gestrichenen Stellen sitzen, aber unkündbar sind. Den größten Personalüberhang gibt es bei den Erzieherinnen im Ostteil der Stadt.
Der Bezirksbürgermeister vom Prenzlauer Berg, Reinhard Kraetzer (SPD), hat bereits 60 Erzieherinnen aufgefordert, sich für die Wahlvorbereitung zur Verfügung zu stellen. Auch der Nachbarbezirk Friedrichshain will auf diese Möglichkeit zurückgreifen. In Treptow mußten zwölf Erzieherinnen in den vergangenen Wochen für das Grünflächenamt bereits ein Baumregister erstellen, statt Kinder zu betreuen. Wenn die Bäume gezählt sind, will Bezirksbürgermeister Siegfried Stock (SPD) sehen, „was es für sinnvolle bezirkliche Aufgaben für die überschüssigen Erzieherinnen gibt“. Das Zählen der Wahlberechtigten könnte eine Alternative sein.
Der Einsatz der Erzieherinnen zum Bäumezählen war weder mit dem Personalrat noch mit dem Bezirkselternausschuß abgesprochen. Elternvertreter kritisieren, daß deshalb Kitagruppen aufgeteilt werden mußten. Weil es seit 1995 keine Vertretungsmittel für Erzieherinnen mehr gebe, die krank, im Mutterschutz, auf Fortbildung oder in Urlaub sind, seien die Erzieherinnen auf den Überhangstellen unverzichtbar für die Arbeit in den Kitas, so Burkhard Entrup vom LEAK. „Die Überhangskräfte sind fast immer die einzigen Betreuerinnen in einer Gruppe.“ Marina Mai
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