Kommentar
: Die Schweiz als Vorbild?

■ Großbanken schließen Vergleich mit den Holocaust-Opfern

Wenn der Ausdruck „klammheimliche Freude“ je angebracht war, dann bei den Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit angesichts des jähen Falls, den die Schweizer Banken in der zweiten Hälfte der 90er Jahre erlebten. Bequem zurückgelehnt konnten Regierung, Banker, Unternehmen und die Medien das Schauspiel verfolgen, dessen erster Akt von zäher Taubheit gegenüber den Ansprüchen jüdischer Kontoinhaber beziehungsweise ihrer Erben bestimmt war, der zweite Akt von hinhaltenden Manövern einschließlich der Veröffentlichung der „nachrichtenlosen“ Konten und der dritte (und vorläufig letzte) vom strategischen Rückzug: der Zahlung von 1,25 Milliarden Dollar, vereinbart zwischen den zwei Schweizer Großbanken und dem Konsortium der amerikanischen Kläger plus dem Jewish World Congress.

Katharsis hat sich allerdings nach dem Ende des Dramas nicht eingestellt, weder bei den beklagten Schweizern noch bei dem zuschauenden deutschen Publikum. Nicht Erschütterung und Reinigung, sondern Zynismus. Credit Suisse und USB hatten eben Pech, daß amerikanische Finanzbehörden einer Reihe von Bundesstaaten mit Sanktionen drohten und daß diese Drohungen glaubwürdig waren. Sie redeten mit den Schweizer Finanzleuten eben in der einzigen Sprache, die in diesem Milieu verstanden wird.

Kann die Waffe, derer sich die Opfer des Holocaust in den USA legitimerweise bedienten, auch gegenüber Unternehmen der Bundesrepublik eingesetzt werden, die sich an der nazistischen Vernichtungspolitik bereicherten: durch „Arisierung“, durch die Ausbeutung der Zwangsarbeiter, durch den Handel mit Raubgold? Der gestrige Vergleich wird bei Deutschlands Kapitalisten keinerlei Alarmglocken schrillen lassen. Die deutsche Bundesregierung hat in jahrzehntelanger Arbeit ein dichtes Almosensystem etabliert, an dem bislang jedweder internationale Druck, auch der mit juristischen Mitteln, abprallt. Auch die jüngste Vereinbarung, die zugunsten der osteuropäischen Juden abgeschlossen wurde, trägt dieses Markenzeichen der Abwehr und der Kleinarbeitung – made in Germany.

Wer sich in Deutschland mit diesem Stand der Dinge nicht abfinden will, dem bleibt nur der zähe Kampf um einen Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit, der gleichzeitig auch ein Wettlauf mit der Zeit ist. Christian Semler