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Glück auf, die Türken kommen

In Duisburg-Marxloh sind seit der Stahlkrise viele Deutsche arbeitslos. Ihre türkischen Nachbarn steigen auf Dienstleistungen um – mit Erfolg  ■ Von Anja Kempe und Andreas Teichmann (Fotos)

Barfrau: Is' alles weg hier. Hier is' nix mehr.

Türkischer Gast: Ja.

Barfrau: Alles zu.

Türkischer Gast: Ja, ja.

Barfrau: Und wat machen die auf? Teestuben.

Türkischer Gast: Ja! Alles Teestuben aufmachen. In Marxloh nix los, für die Deutschen nix los.

Es war einmal ein Arbeiterviertel, da gab es „Arbeit für alle“, und Türken und Deutsche gingen zusammen in die Schächte und an die Hochöfen. Doch als das Zechensterben begann und die Stahlkrise, gab es in Marxloh einen Knall.

„Die ham sich hier die Zähne machen lassen und alles, und jetzt woll'n se nich' mehr raus!“ Auf dem Markt, beim Bäcker, in den Kneipen – es reicht ein Stichwort oder mehr als zwei Türken im Blickfeld, und die Stimmung explodiert. Marxloh, der alte „Malocher“-Stadtteil im Norden Duisburgs hat 21.400 Einwohner und eine Arbeitlosenquote von 25 Prozent.

Im Gasthof Heckmann dudelt ein türkischer Schlager. Beate, die Barfrau, steht hinter der Theke und schaut in die Runde: „Die Türken machen hier alles kaputt.“ Der türkische Gast nickt: „Ja, dat is wahr.“ Aber er weiß auch nicht, warum das so gekommen ist. Tahir Gürlüz ist 66 Jahre alt, er hat die Rente in der Tasche, und jeden Abend um 18 Uhr geht er zu Heckmann, drei Kö-Pi, drei Korn. 25 Jahre hat er bei der Thyssen- Stahl-AG gearbeitet, da kann er sich nicht beklagen, gute Arbeit, Glück gehabt.

Ab 1871 mit Thyssen-Stahl, rheinischer Steinkohle und der Gewerkschaft „Deutscher Kaiser“ groß geworden, sind in Duisburg in den letzten zehn Jahren 90.000 Arbeitsplätze abgebaut worden, davon 50.000 im Stahl und 28.000 im Bergbau.

Die „Weseler“ ist Marxlohs längste Straße, einmal quer durch: Von „Heckmann“ an der Stadtteilgrenze Duisburg-Walsum bis zur Straßenbahnhaltestelle „Pollmann-Kreuz“, benannt nach dem ehemaligen ersten Gemischtwarenladen am Platz. Die Weseler ist das Zentrum.

„Klein-Istanbul is' das hier. Die reinste Mafia“, meckert die Verkäuferin Helga Beckmann und guckt die Straße lang, ob die Bahn kommt. Gegenüber ist eine Teestube und schräg dahinter eine Moschee. Und ein Minarett wollen die sich jetzt auch noch bauen. „Dann fängt der Schreier hier über Lautsprecher an zu bölken, morgens um vier.“ Aber dagegen lehnt sich bereits die evangelische Kirche auf, Gott sei Dank.

Klein-Istanbul zeigt Glanz und Gloria: Große Schaufenster mit Goldschmuck und dicken Armbanduhren, Spezialitäten-Restaurants der gehobenen Preisklasse, Bäckereien mit Pralinen, Lebensmittelläden, Rechtsanwälte, Ärzte, Steuerberater, Frisörsalons mit modernstem Interieur, Fitneß- und Sonnenstudios, Boutiquen, Bars und Kneipen. „Ja. Am Arsch der Welt sind wir. Wir ham nix mehr hier“, sagt die Barfrau und kippt einem Gast einen Asbach ein.

Eigentlich wollte sie Frisörin werden, aber sie hat keine Lehrstelle gefunden. Warum nicht? Ja weil in Marxloh doch alles weg ist. In ganz Marxloh keine Lehrstelle. Jetzt arbeitet sie schon viele Jahre bei Heckmann. Was soll man machen. Früher hat das alles hier ihrem Schwager gehört und davor dem Vater ihres Schwagers. Der hat sie eingestellt als Bedienung, aber das Lokal ist nicht mehr zu halten gewesen, wie die meisten deutschen Geschäfte hier. „Ja, wo 'n Deutscher rausgeht ...“, weiß Rentner Tahir Gürlüz, und Beate ergänzt: „ ... kommt 'n Türke rein. Marxloh kannste zukacken mit Türkenramsch.“ Jetzt ist Beate nicht mehr Bedienung, sondern Barfrau, und der Mehmet ist ihr Chef. Die Gäste sind Türken. Deutsche kommen kaum. Der Laden läuft wieder, „läuft supergut“, ruft Mehmet von hinten, „Theke ist jeden Abend voll besetzt“. „Ein Glück, Mensch“, sagt Beate.

Die Spielhallen an der Weseler machen gegen elf Uhr morgens auf und sind um zwölf schon voll, jeden Tag. „Ob ich nun zu Hause rumsitze oder hier, is' egal“, sagt Günter Kapitz und wirft eine Mark in den Automaten. Auf die Stütze warten kann er auch hier. Gelernt hat er Bergmann wie sein Vater und sein Großvater, aber nach der Lehre ist die Zeche zugemacht worden. Und nun ist eben alles vorbei, und er ist noch nicht mal 40. „So ist das eben.“ Günter haut dem Automaten eins drauf. Und das sei nicht nur bei ihm so, sondern bei allen hier sei das so. Schon seit zehn, 15 Jahren. „Einmal im Monat im Arbeitsamt Tach sagen, mehr is nich' mehr, und mehr kommt auch nich' mehr“, brummt er und wirft noch eine Mark ein. „Drin der Fisch.“ Es ist 14 Uhr, und alle Spielautomaten sind besetzt. Marxloh hat einen Ausländeranteil von 36 Prozent, unter den Jugendlichen 70 Prozent, aber in den Spielhallen sind die Deutschen eindeutig in der Mehrheit. „Ein Glück auch“, sagt Günter.

Bis Pollmann donnert der Techno-Sound. „Bißchen Stimmung“, sagt Ümit Ükin und grinst. Das Firmenschild vor der Tür leuchtet rot und schwarz: Star Müzik. Und darunter in Gold: CD Kaseti Produktion. Ümit hat das Geschäft vor ein paar Jahren zusammen mit seinem Onkel aufgemacht, und es hat „geklingelt vom ersten Tag an“. Und das sei nicht nur bei ihm so, betont er, bei allen hier sei das so. „Hier ist Wirtschaftswunder. Aber seriös alles.“ Wer eine gute Idee hat, der macht das Geschäft. Natürlich, es gibt auch Quertreiber, „Klauer, Schläger, Dealer“, aber die gibt es unter den Deutschen auch. Der Laden ist riesig, 200 Quadratmeter auf zwei Etagen, und darüber, auf noch mal zwei Etagen, wohnt die Familie, Ümits Onkel hat das Haus ersteigert. Landsleute aus dem ganzen Ruhrgebiet kaufen bei Star Müzik ein. Im Angebot sind ausschließlich türkische Labels, von Volksmusik bis House: „Wir haben alles, sag mir irgendeinen Titel, kein Problem.“

Ümit ist 22 Jahre alt. Als seine Eltern nach Duisburg-Marxloh gekommen sind, war er noch nicht geboren. „Mein Vater war Rangierführer, ,Eisenbahn und Häfen‘, 30 Jahre, und als Kind hab' ich ihm manchmal sein Butterbrot gebracht.“ Kurz nach der Rente ist der Vater gestorben. „Herz hat der gehabt, und Blutdruck und Asthma. Und nicht nur er hat das gehabt“, sagt Ümit und schnippt seine Zigarettenasche ab. „Die ham sich, auf deutsch gesagt, totgearbeitet.“

„Damals is' Marxloh mal schön gewesen“, sagt Margot Ott, zieht ihre Jacke stramm und stellt sich in die Schlange zwischen türkischen Honig und Fladenbrot. Sie ist Jahrgang '35, in Marxloh lebt sie seit ihrer Kindheit. Die „Weseler“ war eine Prachtstraße damals: „Rechts hin, zurück links. Und denn ham wir uns die Geschäfte angeguckt, und alles, was es so gab. Und dat war immer schön.“ Jawohl, ihr Mann ist bei Thyssen gewesen. Ja, ja, schwere Arbeit und immer Schichtdienst, aber es ist schön gewesen früher. „Und ob die Zeiten noch mal kommen, ich weiß nich', da müßte schon ein Wunder geschehen.“ Jetzt ist sie Witwe, schon lange, „so ist das nun mal“, und nun holt sie sich jeden Tag vom Türken zwei Bienenstich, denn der hat nicht bloß türkische Spezialitäten, ein Glück. „Alles da, Bienenstich, Brötchen, unsere Brötchen, die ham die gleiche Form, Vollkornbrot, Schwarzbrot. Nur so'n richtiges Geschäft, das is hier nich' mehr, da müssen wir schon rauf nach Walsum.“

Jeden Samstag klopft Mehmet, der Chef von Beate der Barfrau, die Fußmatte aus und fegt das Stück Straße vor seiner Kneipe. Alles von den Deutschen gelernt. Die Bergmannsfrauen haben das früher auch gemacht. Jeden Samstag. „Schön sauber kommt gut“, sagt er und schubst mit dem Besen eine leere Bierflasche in den Rinnstein. „Aber sonst...“ Einiges kann er nicht verstehen, bis heute nicht. Zum Beispiel als er die Schule fertig hatte, haben die Lehrer immer gesagt: „Bewirb dich bei Thyssen, da hast du was.“ „Aber ich hab' immer nein gesagt. Ich wußte, was im Thyssen ist. Ich hab' mich noch nie im Leben bei Thyssen beworben. Die Leute, die in der Kokerei arbeiten, die sind ja schon kaputt. Is' doch blöd! Eine schöne Arbeit, ja, aber kein Thyssen, kein Stahl.“

Helga Beckmann schiebt sich jeden Tag den Stuhl rüber und guckt aus dem Fenster. „Bloß wat willste hier noch gucken, da siehste jeden Tach dat gleiche.“ Links ein Türkenladen, rechts auch. Natürlich, nicht daß sie was gegen Ausländer hat, sie hat ja selbst mal einen gehabt, einen Jugoslawen, aber das hier geht nun doch zu weit. Weil Marxloh schließlich in Deutschland liegt. Am August-Bebel-Platz wohnt sie schon 14 Jahre. Da drüben, wo jetzt der Ramschladen ist, gleich dahinter, da ist früher die Kaufhalle gewesen, und da hat sie gearbeitet. Ja, wann ist da zugemacht worden? Ja, gleich als Thyssen auf Sparflamme gegangen ist, ein paar Monate später. Das war vor sechs Jahren.

Samstag, High-noon. Ümit rennt durch den Laden. Er muß seinen Anzug noch aus der Reinigung holen. Anzug und Fliege. „Muß sein“, sagt er. Am Abend feiert sein Freund Aygün im Schützenhaus groß Hochzeit. 500 Kollegen kommen und eine Achtmannband aus Castrop-Rauxel. Ümit dreht die Boxen auf, gleich ist Feierabend, ein Glück.

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