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In Zukunft einen deutschen Paß für jede Neugeborene

■ Neugeborene können automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Immigranten sollen künftig nach acht statt wie bisher 15 Jahren einen Anspruch auf Einbürgerung erhalten

Die sechste Verhandlungsrunde zwischen den künftigen Koalitionsparteien war besonders schwierig, besonders hart, dauerte besonders lange, die Nerven lagen blank, Türen knallten, aber am Ende kam zumindestens beim Staatsangehörigkeitsrecht ein Kompromiß heraus, den sowohl SPD als auch Grüne als „sehr gut“ bezeichneten.

Schon vor Beginn der Verhandlungen war klar, daß sich Rot- Grün mindestens auf die Einbürgerung von Kindern der dritten Generation einigen würde, d.h. solchen, deren Eltern bereits in Deutschland geboren sind. Das hätte zur Folge, daß von den jährlich 100.000 geborenen Ausländerkindern lediglich 10.000 automatisch Deutsche würden. Die Grünen wollten aber mehr: Auch die Kinder der zweiten Generation, d.h. alle in Deutschland geborenen Kinder von Ausländern, die ein Aufenthaltsrecht haben, sollten einbezogen werden.

Die Grünen argumentierten, nur auf diese Weise könnten größere Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Ein Beispiel: Ein Bruder und eine Schwester bekommen in Deutschland im gleichen Jahr Kinder. Die Schwester ist 1970 in Deutschland geboren, der Bruder ist 1960 im Alter von einem Jahr eingewandert. Das hat zur Folge, daß nur das Kind der Schwester automatisch Deutscher wird, obwohl der Bruder schon zehn Jahre länger in Deutschland lebt.

Um solche Ungerechtigkeiten auszubügeln, unterbreiteten die Grünen der SPD einen überraschenden Kompromiß: Künftig sollen Kinder auch dann automatisch eingebürgert werden, wenn ein Elternteil zwar nicht in Deutschland geboren, aber vor dem 14. Lebensjahr eingereist ist.

Die Zahl der eingebürgerten Ausländerkinder steigt auf diese Weise von zehn auf 50 Prozent und mehr. Die Fraktionssprecherin der Grünen, Kerstin Müller, spricht deshalb auch scherzhaft von einer Einbürgerung von Kindern der „zweieinhalbten Generation“. Weitere Vereinbarungen führen dazu, die Wartezeiten für die Einbürgerung deutlich zu verkürzen. So sollen Ausländer bereits nach acht statt wie bisher 15 Jahren einen Anspruch auf Einbürgerung erhalten und Kinder bereits nach fünf Jahren. Außerdem haben die Grünen ein weiteres Zugeständnis der SPD: Das Recht der Eltern, die Staatsbürgerschaft für ihre Kinder bis zum Alter von einem Jahr auszuschlagen, ist nun vom Tisch.

Die SPD hatte darauf lange mit dem Argument der „Zwangsgermanisierung“ beharrt. Nach Erwartung der designierten Justizministerin Herta Däubler-Gmelin werden die neuen Regelungen etwa zwei bis drei Millionen Ausländern erlauben, Deutsche zu werden. Darunter sind etwa 900.000 Türken. Jährlich kommen etwa 80.000 Neugeborene hinzu.

Die Erfolge bei der Staatsangehörigkeit mußten sich die Grünen aber teuer erkaufen. Ein Einwanderungsgesetz wird es vorerst nicht geben, ebenso keine Neuregelung des Ausländergesetzes, kein Niederlassungsgesetz, das die Gleichstellung von Drittstaatlern mit EU- Bürgern regelt. Vor allem bezüglich der Asylgesetzgebung gab es eine empfindliche Niederlage. Als einzigen Erfolg auf diesem Gebiet können die Grünen verbuchen, daß künftig nicht nur politische und religiöse, sondern auch geschlechstspezifische Verfolgungsgründe geltend gemacht werden können. Künftig werden also zum Beispiel Mädchen asylberechtigt sein, die vor Genitalbeschneidung fliehen.

Die SPD sei deshalb so hart gewesen, heißt es bei den Grünen, um der Union keine offene Flanke zu bieten. Um jeden Preis sollte verhindert werden, daß Schlagworte wie das von den „SPD-Asylanten“ auftauchen. Die Grünen hatten von vornherein nicht erwartet, den 1993 vereinbarten Asylkompromiß rückgängig machen zu können, sich aber deutliche Verbesserungen erhofft. Sie wollten die Flughafenverfahren abschaffen, die Abschiebehaft neu regeln, eine Härtefallregelung sowie eine Altfallregelung einführen. In allen Fragen wurde lediglich ein Prüfauftrag vereinbart. Markus Franz, Bonn

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