■ Die Uhr des israelischen Regierungschefs Netanjahu ist abgelaufen: Die Stunde der Nationalen kommt
Netanjahus Regierung wackelt. Und zwar ganz gewaltig. In seinem rechtsreligiösen Kabinett konnte er trotz aller Überredungskünste keine absolute Mehrheit finden, die dem Wye-Abkommen ihre Zustimmung geben würde. Und vielleicht noch wichtiger: Die Minister der National Religiösen Partei (NRP) stimmten gegen die Ratifizierung. Am Sonntag will der Zentralrat darüber befinden, ob die Partei in der Regierung bleibt. Es wird eng für Netanjahu.
Zwar ist die Zustimmung zum Wye-Abkommen in der Knesset gesichert, weil die Arbeitspartei der Regierung ein „Sicherheitsnetz“ angeboten hat. Aber schon haben Nationalreligiöse und Arbeitspartei Kontakte aufgenommen, um Neuwahlen vorzubereiten. Und im israelischen Parlament ist ein Gesetz zur vorzeitigen Auflösung der Knesset anhängig. Die Neuauflage der alten Partnerschaft zwischen der NRP und der Arbeitspartei mag ideologisch überraschen. Zumal die NRP in den vergangenen 20 Jahren einen langsamen, aber stetigen Trend nach rechts unternommen hat. Andererseits brüsteten sich Teile der Arbeitspartei jüngst damit, daß der ermordete Premier Rabin niemals soviel Territorium an die Palästinenser übergeben hätte, wie Netanjahu dies jetzt tut. Auf dem Marsch in die rechte Mitte versprach der Chef der Arbeitspartei, Ehud Barak, zahlreichen Siedlungen seine uneingeschränkte Unterstützung, Ausbau eingeschlossen. Aber der „bessere Netanjahu“ ist er deshalb nicht. Das wissen die Siedler, das weiß auch die israelische Öffentlichkeit.
Dennoch ist der Sturz der Regierung Netanjahu mehr als eine bloße Wahrscheinlichkeit. Das rechtsnationale Lager in Israel sieht sich durch diesen Führer nicht mehr vertreten. In der eigenen Partei regt sich Widerspruch. Schon werden die Namen von „nationaleren“ Kandidaten gehandelt wie der des gerade wiedergewählten Bürgermeisters von Jerusalem, Ehud Olmert. Einen Trumpf jedoch hat Netanjahu noch. Das religiöse Establishment steht bislang zu ihm. Kein Rabbiner hat ein Todesurteil gegen ihn ausgesprochen, weil er mit dem Teilrückzug „jüdisches Leben“ gefährde, wie dies Rabin seinerzeit erfahren mußte. Andererseits können die Ultraorthodoxen mit keinem so gut wie mit Olmert. Und der muß sich mit diesen ohnehin arrangieren, weil sie fast 50 Prozent der Stadtratssitze in Jerusalem gewonnen haben.
Kein Zweifel, Netanjahu wird kämpfen. Ein Spiel mit Neuwahlen ist auch für die Rechte gewagt. Aber wenn die Kommunalwahlen ein Indiz gegeben haben, dann dies: Israels Wählerschaft rückt weiter nach rechts, vor allem ins religiöse Lager. Das dürfte auch Netanjahu nicht übersehen haben. Georg Baltissen
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