piwik no script img

Die Grünen auf der Suche nach Führung

Die Personalnot ist groß: Bei der Suche nach einem Nachfolger für Umweltminister Jürgen Trittin als Parteichef hagelt es Absagen. Für die meisten Kandidaten ist ein Job in der Fraktion oder der Regierung attraktiver  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Einen „Schrei nach Führung in unserer Partei“ glaubte Außenminister Joschka Fischer im Wahlkampf vernommen zu haben. Aber es gibt Situationen, in denen Geschrei nicht hilft. Bisher jedenfalls hat die Suche nach einem Nachfolger für Umweltminister Jürgen Trittin als Parteichef nur eines gebracht: die Erkenntnis, wie groß die Personalnöte von Bündnis 90/ Die Grünen sind.

Dabei hatte es eigentlich eine klare Favoritin gegeben. Die Berliner Fraktionsvorsitzende Renate Künast galt bei Linken und Realos als gleichermaßen mehrheitsfähig, nachdem sie bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD eine besonders gute Figur gemacht hatte. Ende letzter Woche aber gab sie bekannt, in der Hauptstadt bleiben zu wollen – wohl auch beflügelt von der Hoffnung auf eine mögliche rot-grüne Koalition in Berlin und damit verbundenen neuen Perspektiven. Renate Künast steht mit ihrer Entscheidung nicht alleine da.

Für die meisten Grünen ist die Arbeit in einer Fraktion oder gar einer Regierung attraktiver als ein Posten in der Parteiorganisation. Die Bundesgeschäftsstelle ist personell und finanziell schlecht ausgestattet. Jetzt kommt noch hinzu, daß der Handlungsspielraum der Parteivorsitzenden enger wird. Markige Worte setzen seit dem Machtwechsel nicht mehr die politischen Gegner, sondern die eigenen Leute unter Druck. Diese Tatsache erschwert die Profilierung.

Bis jetzt hat niemand öffentlich Interesse am Job des Parteisprechers angemeldet. Parlamentsmitglieder überrascht allein schon die Frage, ob sie theoretisch zur Verfügung stünden: „Ich bin doch Bundestagsabgeordneter“, meint Volker Beck. Wegen der in der Satzung festgeschriebenen Trennung von Amt und Mandat könnte ein Parteichef das nicht bleiben. Aus diesem Grund winkt auch die Verteidigungsexpertin Angelika Beer, die früher einmal im Bundesvorstand saß, sofort ab: „Ich wäre gezwungen, das Mandat aufzugeben, und das will ich nicht.“

Ein Name, der immer häufiger fällt, ist der von Frithjof Schmidt. Der derzeitige Beisitzer im Bundesvorstand wird von vielen für „geeignet“ gehalten, aber auch Schmidt hat mehrere andere berufliche Perspektiven. Zum einen soll er Büroleiter von Staatsminister Ludger Volmer im Auswärtigen Amt werden, zum anderen liebäugelt er mit einem Sitz im Europaparlament. Zu einer möglichen Kandidatur fürs Sprecheramt will er sich jetzt nicht äußern: „Da ist noch nichts entschieden.“

Das ist wenigstens keine klare Absage – aber eben auch noch keine Bewerbung. Da bei den Kabinettsposten die Frauenquote nicht erfüllt worden ist, gibt es bei einigen Grünen den Wunsch, als Ausgleich wenigstens die Partei mit einer weiblichen Doppelspitze zu besetzen. Eine mögliche Politikerin an der Seite von Gunda Röstel, die sich erneut als Kandidatin der realpolitischen Strömung wählen lassen will, wäre die Parteilinke Barbara Steffens. Manche Parteistrategen halten die Landesvorstandssprecherin von Nordrhein- Westfalen allerdings in ihrem Bundesland für unverzichtbar, weil die umstrittene Garzweiler-Entscheidung jetzt auch in die Partei hinein „vermittelt“ werden müsse. Das ist auch ein Einwand gegen eine mögliche Kandidatur des Düsseldorfer Fraktionschefs Roland Appel.

Aber welcher Landesverband kann derzeit schon auf seine Spitzenleute verzichten? Die Schwierigkeiten sind höchst unterschiedlich, aber fast überall groß. Als wenig glanzvoll wird intern das Erscheinungsbild der rot-grünen Bündnisse auf Länderebene gesehen. Hessen sei „eine Krankheit“, Nordrhein-Westfalen auch, und in Schleswig Holstein sähen die Grünen „ganz schön alt aus“, lautet nur eines der vernichtenden Urteile. Die Oppositionsrolle ist jedoch ebenfalls nicht einfach. In mehreren Ländern müssen sich die Grünen gegen den neuen Bonner Koalitionspartner profilieren. Aber wie? Bundesratsinitiativen haben viel von ihrem Charme verloren, seit damit auch die eigenen Parteifreunde in die Zwickmühle gebracht werden können.

Auf die neue Spitze von Bündnis 90/Die Grünen wartet keine leichte Aufgabe. Sie soll eine Debatte über die politische Standortbestimmung in Gang bringen, das Wählergruppenpotential ausloten und eine mögliche Identitätskrise der Partei auch bei unvermeidlichen Enttäuschungen über rot- grüne Politik verhindern. Dabei stehen bisher noch nicht einmal die Rahmenbedingungen dieser Arbeit fest.

Die Strukturreform der Partei wird seit langem für überfällig gehalten. Aber es gilt als unwahrscheinlich, daß der nächste Parteitag im Dezember wesentlich mehr beschließen wird als die Bildung eines Parteirats. Mit diesem Gremium sollen Landes-, Bundes- und Europaebene besser verzahnt werden. Das ist ein erster Schritt, wird aber von kaum jemandem schon für den großen Durchbruch gehalten. Kein Wunder, daß der „Schrei nach Führung“ bisher ungehört verhallte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen