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Lügendetektor vor Grundsatzenscheidung

■ Sollen Lügentests im Strafprozeß zugelassen werden, etwa bei Fällen von sexuellem Mißbrauch? Revidiert der BGH seine bisherige Linie, wird er quasi als Gesetzgeber tätig

Karlsruhe (taz) – „Es gibt keinen Grund, Lügendetektoren nicht als Beweismittel zuzulassen.“ Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) plädierten gestern die Verteidiger Thomas Scherer und Leopold Günther für eine Korrektur der bisherigen Rechtsprechung. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft hielten das Verfahren dagegen für ein „völlig ungeeignetes Beweismittel“. In einer Grundsatzentscheidung muß der BGH klären, ob sich Angeklagte freiwillig einem Polygraphentest unterziehen dürfen.

Obwohl seit einigen Jahren verstärkt über die Zulassung von Lügendetektoren diskutiert wird, hat der Bundestag keinen Versuch unternommen, die bisher restriktive Rechtsprechung auf gesetzlichem Wege zu korrigieren. Schon 1954 hatte der BGH entschieden, daß der Einsatz von Lügendetektoren die Menschenwürde verletze, denn hier werde der Angeklagte zum Anhang einer Maschine gemacht. Diese Entscheidung wurde 1981 vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Wenn der BGH nun seine Rechtsprechung revidiert, wird er quasi als Gesetzgeber tätig. Auch die gestrigen Plädoyers konzentrierten sich deshalb ganz aufs Grundsätzliche.

Für Anwalt Scherer geht es vor allem um die Wiederherstellung der „Waffengleichheit vor Gericht“. Gerade in Fällen sexuellen Kindesmißbrauchs stehe oft Aussage gegen Aussage. Dabei habe aber die Aussage des Kindes größeres Gewicht, wenn sie durch ein aussagepsychologisches Gutachten gestützt werde. Nur die Zulassung von Lügendetektorentests, so Scherer, gebe einem fälschlich Beschuldigten die Chance, sich zu entlasten. Zweifel an der Zuverlässigkeit der Tests, bei denen Blutdruck, Puls und Schweißproduktion gemessen wird, wollte Scherer nicht gelten lassen. „Auch andere psychologische Gutachten sind nicht absolut zuverlässig.“

Die Bundesanwaltschaft trat gestern uneinheitlich auf, wobei Bundesanwalt Dieter Beese die harte Linie repräsentierte: „Der Test ist nicht standardisierbar, er kann leicht manipuliert werden, und der Angeklagte wird unzulässig über die Bedeutung der einzelnen Fragen getäuscht.“ Beese sah sich damit in Übereinstimmung mit dem Heidelberger Psychologieprofessor Klaus Fiedler, der als Sachverständiger von der Zulassung des Polygraphen nachdrücklich abgeraten hat (siehe taz von gestern).

Oberstaatsanwalt Michael Bruns zeigte sich dagegen aufgeschlossener und wollte zwischen verschiedenen Testmethoden unterscheiden. So sei die „Tatwissenmethode“, bei der die Reaktion auf spezifische Details des Tathergangs geprüft wird, durchaus wissenschaftlich anerkannt. Allerdings komme sie vor Gericht selten in Betracht, weil zu diesem Zeitpunkt die Tatdetails meist allgemein bekannt sind. Gebräuchlicher ist eine Methode, bei der Fragen zur Tat und unangenehme Kontrollfragen kontrastiert werden, ein Täter ist bei den Tatfragen erregter, der Unschuldige bei den Kontrollfragen, so die Annahme. Diesen Test hält aber auch Bruns für „noch nicht ausgereift“.

Am Tag zuvor hatte der Berliner Psychologe Max Steller ausdrücklich vor der Anwendung des Kontrollfragentests bei Mißbrauchsprozessen gewarnt. „Da es hier oft nicht um eine konkrete Tat, sondern um ein langandauerndes Verhältnis geht, müssen die Tatfragen entsprechend abstrakt bleiben“, argumentierte Steller. Dabei könne ein mißbrauchender Vater seine Handlungen relativ leicht bagatellisieren und deshalb Fragen nach dem Mißbrauch guten Gewissens verneinen. Stellers Wort hat besonderes Gewicht, da er als differenzierter Befürworter der Polygraphie gilt. Auch in den beiden konkret zu entscheidenden Fällen geht es um Kindesmißbrauch.

Udo Undeutsch, der dritte Gutachter, betonte jedoch, daß nach seiner Erfahrung ein leugnender Mißbrauchstäter genauso gut erkannt werden könne wie andere Straftäter auch. Der 81jährige Kölner Psychologieprofessor arbeitet schon seit langer Zeit mit dem Lügendetektor. Er sieht die Zuverlässigkeit der Methode bei 98 Prozent. Mit seiner Mischung aus Altersstarrsinn und Arroganz („Ich glaube, ich muß meinen Mitgutachtern mal einen Einführungskurs geben“) dürfte Undeutsch bei den eher skeptischen Richtern wenig Punkte gemacht haben.

Das Urteil wird nächsten Donnerstag verkündet.

Christian Rath

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