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Pinochets Chile ist Vorbild und Trauma zugleich

■ Für Rechte wie Linke in Großbritannien rührt der Fall des ehemaligen Diktators auf unterschiedliche Weise an die ideologischen Grundmuster und historischen Erfahrungen

Der Fall Pinochet schlägt in Großbritannien hohe Wellen. Rechts wie links steigen tiefe Emotionen hoch. Für die britische Rechte ist Pinochets Chile das leuchtende Vorbild für Thatchers Großbritannien. Für die Linke ist Pinochets Putsch das drohende Beispiel dafür, wie ein Establishment auf eine linke Regierung reagieren kann.

Auf der Rechten herrscht derzeit eine regelrechte Kampagnenstimmung. Unterschriften werden für Pinochets Freilassung gesammelt, die Polizei fürchtet Ausschreitungen von Pinochet treuen Demonstranten. Der ehemalige PR-Chef der rechtskonservativen Referendumspartei, Patrick Robertson, leitet eine Kampagne zur Imageverbesserung des Chilenen, angeheuert und bezahlt vom schwerreichen griechischstämmigen konservativen Publizisten Taki. Ansonsten vernünftige konservative Politiker loben Pinochet in emotionalen Zeitungsartikeln dafür, daß er Chile vor dem Kommunismus gerettet habe und stellen ihn als unschuldiges Opfer einer Verschwörung zur Errichtung eines utopischen Weltreichs der Menschenrechte dar. Selbst Baronin Margaret Thatcher nannte gestern die Entscheidung von Innenminister Jack Straw „schändlich“.

In der Ahnengalerie der Thatcheristen hat Pinochet tatsächlich einen Ehrenplatz. Sein Chile war das ursprüngliche Labor für die von Thatcher gerühmte reine monetaristische Lehre des neoliberalen Ökonomen Milton Friedman, für Deregulierung und Privatisierung, für Abbau von Handelsschranken und Arbeiterrechten. Das chilenische „Wirtschaftswunder“ (Friedman) war nach Margaret Thatchers Wahlsieg 1979 das Paradebeispiel dafür, wie man ein Land radikal und rigoros umkrempelt. Und bis heute unterscheiden Anti-EU-Kreise gerne zwischen einem staatsfixierten Europa, von dem sich Großbritannien fernhalten sollte, und der „Free World“ der nordamerikanischen Freihandelszone Nafta mit Ländern wie den USA und Chile, der sich Großbritannien anschließen sollte.

Auf der Linken ist Pinochets Chile dagegen ein tiefsitzendes Trauma. Viele heutige Labour-Minister, die ihre Karriere als Studentenführer begannen, demonstrierten an den Universitäten gegen Pinochet. Daß Chile seit den 70er Jahren eine so prominente Bedeutung für die Linke hatte, war in der Angst begründet, das britische Establishment könnte sich an Pinochets Putsch ein Beispiel nehmen, sollte in Großbritannien der linke Labour-Flügel unter Führern wie Tony Benn an die Macht kommen.

Im Labour-regierten Großbritannien der späten 70er Jahre, als Streitereien mit den Gewerkschaften das Land an den Rand des Chaos brachten, rechneten manche Beobachter tatsächlich mit einem rechten Putsch, natürlich eher auf die feinere, englische Art. Auf der Linken hält sich bis heute die Überzeugung, ein „samtener Putsch“ habe bereits 1976 eingesetzt, als Labour-Premierminister Harold Wilson ohne nachvollziehbare Gründe zurücktrat — dies sei auf massiven Druck des britischen Geheimdienstes geschehen, der Wilson für einen KGB-Agenten hielt. Nur Thatchers Wahlsieg 1979 habe den Konservativen die Not erspart, zur „Rettung“ Großbritanniens vor dem Sozialismus noch härtere Methoden anwenden zu müssen. Dominic Johnson

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