: Politische Brüche und Traditionen
Das Otto-Suhr-Institut, einst größter Fachbereich für Politologie in Europa, wird 50 Jahre alt. Nach Jahren ideologischer Kämpfe grüßen sich die Professoren wieder ■ Von Ralph Bollmann
Es hatte ein rauschendes Jubiläumsfest werden sollen. Ein „Festakt im Beisein des Bundespräsidenten“ war angesetzt, auch ehemalige Studenten und Dozenten sollten kommen. Einen Förderverein wollte der Dekan gründen, und zur Feier des Tages sollte ein „Colloquium zum Thema Kontinuität und Brüche in der Politikwissenschaft“ stattfinden.
Am Ende konnte der Bundespräsident jenen Sonntag im Januar 1989 jedoch zu Hause verbringen. Die geplanten Feiern zum 40jährigen Bestehen des größten politikwissenschaftlichen Instituts in Europa gingen in dem Proteststurm unter, den die Studenten der Freien Universität (FU) im Wintersemester 88/89 gegen die Berliner Hochschulpolitik entfachten. Doch am Otto-Suhr-Institut (OSI) kehrten die ideologisch verhärteten Fronten der 70er Jahre nicht wieder, wie manch konservativer Beobachter damals unkte. Im Gegenteil: Eine informelle Kommission, zu gleichen Teilen aus Professoren, Assistenten, Studenten und übrigem Personal gebildet, entschärfte die Konflikte. Unter dem Vorsitz der Professoren Gesine Schwan und Bodo Zeuner entstand ein „Klima vollständiger Offenheit“, schwärmten die Beteiligten noch lange. Schwan erklärte rückblickend, seither gebe es „am Fachbereich keine politische Polarisierung mehr“.
Am heutigen Freitag, dem 50. Jahrestag seiner Gründung, gibt sich das OSI staatstragend. Zur Feier des Tages erhält der polnische Außenminister Bronislaw Geremek die Ehrendoktorwürde, sein deutscher Amtskollege Joschka Fischer hält die Laudatio. Auch das vor zehn Jahren ausgefallene Kolloquium wollen die Wissenschaftler heute nachholen.
Zu feiern gibt es eigentlich überhaupt nichts, denn genaugenommen ist das OSI gar nicht 50 Jahre alt, sondern älter und jünger zugleich. Seine Vorläuferin, die Deutsche Hochschule für Politik (DHfP), entstand bereits 1920. Republikanische Politiker und Gelehrte wollten durch politische Erwachsenenbildung die junge Demokratie stärken – vergeblich: Nach 13 Jahren war die Geschichte der Hochschule vorerst beendet.
Nach dem Krieg betrieb der spätere Regierende Bürgermeister Otto Suhr (SPD) die Neugründung der DHfP. Als sie am 15. Januar 1949 den Lehrbetrieb wieder aufnahm, waren unter den Dozenten viele zurückgekehrte Emigranten. Aber noch im selben Jahr mußte Suhr enttäuscht feststellen, daß die Studenten „in erschreckender Weise ein eindeutiges Streben nach Berechtigungsscheinen und Diplomen“ zeigten. Während die Zahl der berufstätigen Hörer rasch sank, kamen immer mehr Vollzeitstudenten.
Die logische Folge war 1959 die Eingliederung in die FU – gegen den Widerstand zahlreicher Professoren, denen Politik und Wissenschaft als Gegensätze galten. Ohnehin hatte es die Politologie in Deutschland schwerer als andernorts, sich als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren. Daß die „Demokratiewissenschaft“ ihre normativen Vorgaben nie versteckte, machte sie noch verdächtiger.
Sie fühlten sich bestärkt, als in den Siebzigern die Grenzen zwischen Politik und Politikwissenschaft bisweilen verschwammen. „Linke“ und „liberale“ Professoren befehdeten sich heftig – ihr Wunsch, das Institut kurzerhand zu teilen, fand aber nicht den Segen der Gremien. Das Klischee der „roten Kaderschmiede“ hat das OSI gleichwohl nie ganz erfüllt. Politiker wie Kultursenator Peter Radunski oder der frühere Kohl- Berater Horst Teltschik schärften in den Kontroversen ihr christdemokratisches Profil.
Doch die Zeiten, in denen sich Professoren nicht grüßten, sind längst vorbei. Schon durch den Druck von außen ist das Institut näher zusammengerückt: Von einst 45 Professorenstellen sollen in einigen Jahren nur noch 14 übrig sein, die Zahl der Studenten hat sich bereits von 6.000 auf 3.000 halbiert. Da dürfen sich die Politologen die Anlässe zum Feiern nicht entgehen lassen.
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