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Mehr Schreibtische für die Demokratie

Ein Pionier der Öko-Architektur und Meister des Schrägen: Das Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt ehrt Stefan Wewerka zu seinem 70. Geburtstag mit einer Retrospektive. Für die Zukunft plant er das ideale Archiv für die Künste des 20. Jahrhunderts  ■ Von Andreas Bauer

Früher einmal wollte er die Erde in zwei Hälften schneiden und – verkehrtherum – neu zusammennähen. Im Vergleich dazu sind seine jetzigen Pläne sehr realistisch: Eine Europäische Akademie der Künste möchte er in Paris gründen und dazu in den Tuilerien einen Glaspavillon mit unterirdischem Künstlerarchiv bauen. Ob da was draus wird?

Für seine Kritiker ist Stefan Wewerka noch immer der leicht naive Eigenbrötler. Heinrich Klotz dagegen hat ihn als den letzten Universalmenschen der Renaissance bezeichnet. Nun ist Wewerka 70 Jahre geworden, und dafür ehrt ihn das Frankfurter Museum für Kunsthandwerk mit einer Retrospektive seiner Werke aus fünf Jahrzehnten. Es sind verrückte Ideen am laufenden Meter: halbe Stühle, schräge Tische, ein aufklappbares Fünfmarkstück mit Scharnier, das „Nachthemd des einjährigen Karl Valentin“. In einem Film versucht Wewerka gar den Kölner Dom zu verschieben.

Trotz all dieser verspielt und zusammenhanglos wirkenden Eskapaden ist Wewerka doch immer Architekt geblieben. Auch als Designer hat er vor allem unter einem architektonischen Gesichtspunkt gearbeitet, ähnliches gilt für seine Modeentwürfe. Stets hat ihn die auf Landschaft und Körper bezogene Raumbildung interessiert.

Das war schon 1953 so, als er sich mit Aldo van Eyck und den Brüdern Smithsons von der wichtigsten internationalen Architektenvereinigung dieser Zeit, dem Congrès Internationaux d'Architecture Moderne (CIAM), abspaltete und das Team X gründete. Ihre Hauptforderung: Die Moderne müsse endlich wieder stärker auf menschliche Bedürfnisse eingehen. Wewerkas damalige Vorstellungen kommen vor allem in seiner „Erdarchitektur“ zum Ausdruck.

In diesen manifestartigen Entwürfen fordert er, platz- und materialsparend, landschaftsbezogen und naturnah zu bauen, die Topographie nicht zu überformen, sondern ihre materielle Substanz zu nutzen. Damit war Wewerka, lange bevor Paolo Soleri eine organische Wüstenstadt in Arizona konzipierte und der Club of Rome eine ökologische Bauweise postulierte, einer der ersten, die nach 1945 den Gedanken des ökologisches Bauens einführten. Ein Gedanke, der bei ihm eng verbunden ist mit der Überzeugung, daß Architektur kommunikative Prozesse zu fördern habe.

Besonders deutlich wird das Anliegen bei seinem Hof-Konzept für eine Wohnsiedlung in Ratingen: Eine Gruppe von Gebäuden umstellt ein platzartiges Zentrum. Wie bei seinen damaligen Partnern Oswald Mathias Ungers und van Eyck steht dahinter die aus der Postmoderne übernommene Maxime Albertis, wonach das Haus als Stadt und die Stadt als Haus zu verstehen ist. Wewerka: „Groß dürfen Dinge nur sein als Vielfalt von kleinen Einheiten.“ Ein Postulat, das er weiterführt und auf den Innenraum überträgt: „Wenn ich an einen Tisch denke, denke ich auch an Städtebau.“

1979 gelingt ihm sein wahrscheinlich bekanntestes Möbelstück: der Fächerschreibtisch. Er bietet Platz für drei bis fünf Personen, doch auf Grund seiner Form bevorzugt er niemanden. Deshalb wurde das Möbelstück auch als der erste demokratische Schreibtisch bezeichnet. Frankfurts Bürgermeister Volker Hauff orderte ein Exemplar, heute regiert von dort aus seine Nachfolgerin Petra Roth. Den Tisch kann man aber auch als Eßtisch benutzen – auf Multifunktionalität hat Wewerka immer Wert gelegt.

Das gilt auch für die Mode, die er fast zeitgleich entwirft. Dort, wo sich etwa ein Cape als Rock tragen läßt, verweigert die Kleidung eine eindeutige Funktionsbestimmung. Wewerkas Kreationen entstehen in direktem Dialog mit dem Model und nehmen Bezug zu den Bewegungsabläufen und Haltungen des jeweiligen Körpers. Die konkreten Formen stammen dabei aus seinen Erfahrungen mit bildender Kunst, mit der er sich seit den 60er Jahren beschäftigt.

Das Schiefe, das Schräge wird zum Markenzeichen, ganz gleich ob bei Schreibtischen oder Abendkleidern, Einbauküchen oder Stühlen – vor allem bei Stühlen. Stefan Wewerka hat sie zersägt, zerschnitten, deformiert und neu zusammengesetzt. Da gibt es Stühle auf einem Bein, auf dreien, auf Schrägen – viele sehen aus wie nach einem Hurrikan. Einer seiner bekanntesten ist der Classroom Chair: Ein Stuhl, der sich scheinbar demutsvoll vor dem Betrachter verneigt und sich doch seiner Funktion verweigert. Der Stuhl als Clown.

Der große Durchbruch als Architekt und Künstler ist Wewerka nie gelungen. Das liegt wohl auch daran, daß sein Werk eher fragmentarisch geblieben ist. Vor allem aber hatte er keine Lust, sich auf bestimmte Spielregeln des Erfolgs einzulassen. So floh er 1970 regelrecht nach London, als sich in Deutschland der künstlerische Erfolg abzuzeichnen begann. „Es war mir einfach zu viel Gedöns“, wird er im Katalogtext zitiert.

Die Europäische Kunstakademie in den Pariser Tuilerien auf der „Kulturachse Europas“ ist noch einmal ein Archetypus aus der Wewerkaschen Formsprache. Sie soll eine Einheit bilden, ein großes Ganzes, das sich aus den zahlreichen Erfahrungen, vielleicht auch Enttäuschungen in all den Jahren herausgebildet hat. Wewerka möchte damit in „kulturell chaotischen, barbarischen Zeiten“ das bewahren, was er für wichtig, aber bedroht hält: „Wir haben unser Leben lang an der Profilierung von bestimmten Ideen gearbeitet, wir haben daran gearbeitet, daß die Welt ein Profil behält.“

Dieses Ideal muß jetzt exemplarisch gezeigt werden: Albert Mangelsdorff soll die Abteilung Jazz leiten, Pierre Boulez für die eher klassisch-moderne Musik zuständig sein. Wewerka selbst will sich für Architektur und bildende Kunst einsetzen. Auch tote Künstler wie Louis Jouvet und Heiner Müller werden vertreten sein. In das Archiv der Akademie sollen die Künstler das Wichtigste ihres Lebenswerks einbringen. Es soll als Herzstück der Akademie den Grundstein für die Ausbildung von Nachwuchskünstlern legen. Wewerkas Glaspavillon aus dünnem Stahl, der bereits 1987 zur documenta 8 im Park vor der Kasseler Orangerie stand, soll es beherbergen. „Das wird ein leiser, schwingender Ort“, sagt er. Demnächst wird er nach Paris fahren und mit Jack Lang darüber sprechen.

„Stefan Wewerka. Architekt, Designer, Objektkünstler“. Bis 15.2. im Museum für Kunsthandwerk Frankfurt. Katalog: 48 DM.

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