Kritik an Kompromiß zu Doppelpaß

■ Enttäuschung über Kompromißbereitschaft beim Staatsbürgerschaftsrecht. Türkischer Bund befürchtet, daß die Berliner CDU nun "Aktionen zur Auflösung der Ghettos" starten könnte

Der Bonner Abschied von der Koalitionsvereinbarung zum Doppelpaß stößt in der türkischen Community in Berlin auf Kritik und Enttäuschung. Der Vorsitzende der konservativen Türkischen Gemeinde, Sabri Adak, sagte gestern: „Ich bin sehr enttäuscht.“ Nachdem SPD und Grüne mit dem Thema vor der Wahl Politik gemacht haben, müßten sie jetzt auch auf der Verwirklichung ihres Entwurfs bestehen.

Die von Innenminister Otto Schily (SPD) angedeutete Verknüpfung mit dem rheinland-pfälzischen Modell, wonach sich Kinder von in Deutschland lebenden Ausländern mit 23 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden sollen, lehnt Adak ab. „Wir bestehen darauf, daß Kinder von hier ansässigen Eltern, die hier geboren werden, als Deutsche anerkannt werden.“

Der Geschäftsführer des Türkischen Bundes, Kenan Kolat, verschließt sich dieser Optionslösung zwar nicht ganz: „Damit könnte man leben.“ Doch keinesfalls dürfe es eine Verschlechterung des jetzigen Zustands geben. So müßten Erschwernisse bei Anschlußeinbürgerungen zurückgenommen werden. Nach Ansicht des SPD- Mitglieds Kolat hat die CDU-Unterschriftenkampagne „die großen Ressentiments in der Bevölkerung gegenüber Nichtdeutschen“ gezeigt. Diese offenbarten sich nicht in „rassistischen Äußerungen“, es sei vielmehr der „innere Schweinehund, der rauskommt“. Kolat befürchtet, daß die CDU nun „Aktionen zur Auflösung der Ghettos in Berlin“ starten könnte.

Auch Özcan Mutlu, grüner Direktkandidat in Kreuzberg für die Abgeordnetenhauswahl, ist enttäuscht. „Das ist der erste Versuch der Opposition, den Regierungsparteien eins auszuwischen“, sagte er. Es sei „nicht hinnehmbar“, daß die Grünen einknicken. Statt dessen müsse nun nach dem Motto „Jetzt erst recht“ aktive Aufklärungsarbeit geleistet werden.

Selbst Mehmet Daimagüler, Vorsitzender der Liberalen Türkisch-Deutschen Vereinigung in Berlin, in der türkischstämmige FDP-Mitglieder organisiert sind, bezeichnet die Optionslösung als „suboptimal“. Es könne nicht sein, daß ein Gesetz von der „Mobilisierung der Massen durch einen Parteiapparat“ abhängt. Die Bereitschaft der FDP zur Zusammenarbeit mit der SPD sei nur die „zweitbeste Lösung“, und die sei „besser als nichts“. Barbara Bollwahn de Paez Casanova