„Milosevic will Frieden“

■ PDS-Fraktionschef Gregor Gysi über seinen Besuch beim jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der ihm gegenüber behauptet hat, die Rechte der Kosovo-Albaner respektieren zu wollen

taz: Sie haben über eine Stunde mit dem jugoslawischen Präsidenten geredet. Welchen Eindruck machte Milosevic auf Sie?

Gregor Gysi: Er ist sehr überzeugt von sich und zieht seine Selbstsicherheit daraus, daß er in seiner Bevölkerung einen so starken Rückhalt hat wie wohl nie zuvor. Gleichzeitig ist er von den Nato-Bombardements und der Isolation seines Landes durchaus beeindruckt. Aber Milosevic hat einen starken Durchhaltewillen.

Warum reden Sie überhaupt mit ihm?

Ich will die Logik des Krieges durch die Logik des Friedens ablösen. Ich verstehe diesen ganzen Irrsinn nicht: Welche einzige Nato-Bombe hat bisher das Leid eines einzigen Kosovo-Albaners gelindert? Welchen Sinn hat es, das Heizkraftwerk in der jugoslawischen Stadt Krugajevic vollständig zu bombardieren? Nicht eine Wohnung, nicht ein Kindergarten, nicht ein Krankenhaus in der 200.000-Einwohner-Stadt sind noch zu beheizen. Welcher Kosovo-Albaner hat etwas davon? Ich will der Politik wieder zu ihrem Recht verhelfen.

Und dafür müssen Sie mit Milosevic reden?

Wir haben doch keine andere Wahl, wir können uns die Staatsoberhäupter anderer Länder nicht aussuchen. Milosevic ist der Präsident Jugoslawiens, noch dazu ein gewählter, und wenn wir Frieden wollen, müssen wir mit ihm reden.

Aber Milosevic ist für den Tod Zehntausender Menschen verantwortlich, für hunderttausendfache Vertreibung, für ethnische Säuberungen. Er ist ein Kriegsverbrecher.

Wenn, dann ist er ein Verbrecher gegen die Menschlichkeit, was schlimm genug ist. Aber Milosevic ist kein verurteilter Kriegsverbrecher. Es gibt keine Anklage, keine Beweise, kein Urteil – ich bin Jurist genug, um mich mit solchen Bewertungen zurückzuhalten, auch wenn viel dafür spricht, daß Milosevic ein Kriegsverbrecher ist. Natürlich ist ein Gespräch mit so jemandem nicht einfach, ich war auch beklommen. Aber noch einmal: Wenn man verhandeln will, muß man mit Milosevic sprechen.

Wenn man mit ihm redet, dann muß man doch überzeugt davon sein, daß Milosevic auch Frieden will. Sind Sie das?

Ich glaube, daß Milosevic Frieden will, daß er Frieden wollen muß. Er ist nicht so naiv zu glauben, er sei der militärischen Macht der Nato gewachsen. Die entscheidende Frage ist, was für ein Frieden mit dem jugoslawischen Präsidenten zu machen ist. Wenn Milosevic nicht von vornherein das Gefühl hat, er soll über den Tisch gezogen werden, dann hört er auch anders zu.

Milosevic hört Ihnen zu, weil er genau weiß, daß er Sie locker über den Tisch ziehen kann.

Das kann ich nicht ausschließen. Aber was will er bei mir groß anrichten? Er kennt die Grenzen meines Einflusses.

Es heißt, Sie haben Milosevic einen Friedensplan der PDS erläutert. Hat Milosevic Ihnen da überhaupt zugehört?

Hat er. Natürlich gab es am Anfang des Gesprächs eine gegenseitige Reserviertheit. Aber dann wurde es doch eine lebhafte, interessante, streitige Unterredung. Ich bin heute mehr als gestern überzeugt davon, daß solche Gespräche Sinn machen. Mein Eindruck ist, daß in Rambouillet nicht alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind.

Während in Rambouillet verhandelt wurde, hat Milosevic seine Armee im Kosovo die Albaner umbringen und vertreiben lassen.

Milosevic hat mir gesagt, daß er bereit ist, die Rechte der Kosovo-Albaner zu respektieren und dem Kosovo eine Autonomie zu gewähren. Er will die Rückkehr aller Kosovo-Albaner, und nicht nur der friedliebenden, wie er früher immer gesagt hat, garantieren.

Und davon glauben Sie ihm auch nur ein einziges Wort?

Ich habe mit Milosevic über die Lage der Kosovo-Albaner gesprochen. Er hat mir gesagt, daß alle Medienberichte darüber, die ich kenne, falsch seien. Die Kosovo-Albaner würden nicht vor den Serben fliehen, sondern vor den Nato-Bomben. Ich habe dem natürlich widersprochen und Milosevic gesagt, daß ich nach meinem Besuch in Albanien Ende dieser Woche ihm berichten werde, was mir die Flüchtlinge aus dem Kosovo persönlich erzählt haben.

Ist Milosevic bereit, eine internationale Friedenstruppe im Kosovo zu akzeptieren?

Das einzige, was er hinnehmen würde, ist die Stationierung ziviler UN-Beobachter in beliebiger Anzahl. Milosevic akzeptiert nicht einmal eine internationale Friedenstruppe unter Führung der Vereinten Nationen, ganz zu schweigen von einer Nato-Truppe. Freiwillig werden die Serben nicht einen einzigen Nato-Soldaten in ihr Land lassen.

Und wie soll Ihrer Meinung dann der Kosovo-Krieg beendet werden?

Eine Lösung kann es nur durch die Vereinten Nationen geben. Milosevic wäre bereit, UN-Generalsekretär Kofi Annan als einen Begleiter mit Verantwortung für direkte, unmittelbare Verhandlungen zwischen den Führungen der Kosovo-Albaner und der Serben bzw. Jugoslawen zu akzeptieren.

Sie sind der Fraktionschef einer kleinen linken Oppositionspartei in Deutschland, und Sie fordern von einem Diktator wie Milosevic das Ende der Gewalt im Kosovo – ist das nicht vermessen?

Vielleicht. Aber ich würde das sogar machen, wenn ich nicht Fraktionschef einer kleinen Oppositionspartei wäre. Für Gewaltfreiheit einzutreten ist doch keine Frage des politischen Amtes.

Aber Milosevic wird kaum auf Sie hören.

Das ist mir auch klar. Dennoch sind solche Gespräche wichtig. Ich habe signalisiert, daß es eine Alternative zum Krieg gibt, daß Politik noch möglich ist. Ich habe in Belgrad Nachdenken festgestellt, und wenn ich länger dort geblieben wäre, hätte ich noch mehr erreichen können. Interview: Jens König